Ein Freund verwendete für unser Innenleben einmal das Bild einer Wohnung mit mehreren Zimmern. Er bezog sich dabei auf Beziehungsdynamiken und darauf, welche Menschen und Nahestehenden wir in unsere Räume lassen — oder eben nicht.
Das Bild einer inneren Wohnung finde ich für alles, was wir an Erfahrung, an Geschichte http://blog.tina-knape.de/2019/05/03/du-hast-es-gefunden/, an kultureller Prägung oder anderen Einflüssen in uns tragen, sehr passend. Es bietet der Vorstellung Raum, dass wir alle unterschiedlich “gebaut” sind. Einige haben große Wohnungen, andere kleinere, dafür vielleicht mit mehr Fenstern versehene. Manche Wohnungen sind verwinkelt angelegt, andere klar strukturiert und “aufgeräumt”. Und vermutlich hat jeder mindestens ein Zimmer, in das er nicht so gern geht oder wo es dunkler ist http://blog.tina-knape.de/2020/07/16/nie-wieder-wie-frueher/. Vielleicht haben manche von uns sich auch noch gar nicht getraut, all die verschiedenen Zimmer in sich zu entdecken und einzunehmen. Je nach Erlebnissen gibt es vielleicht auch einen Raum, der besonders versperrt, abgeschlossen oder gar tabu ist. Wir tragen Räume in uns, die schutzbedürftiger sind als andere. Und natürlich gibt es Räume, wo wir uns entspannter oder geborgen fühlen.
Therapeutische Arbeit und tief gehende körperliche Erfahrungen tun gut daran, auf das Kennenlernen der eigenen inneren Wohnung abzuzielen, das heißt, mit ihr vertraut zu werden und sie im besten Fall frei atmend durchschreiten zu können. http://blog.tina-knape.de/2020/11/19/koerperreise/ Sicherlich fühlen wir uns nicht zu jeder Zeit und in jeder Ecke gleich wohl, doch sollten wir sie gut kennen.
Denn: Wie es um die innere Verbindung steht, spiegelt sich häufig im Außen wieder. Es gibt Begegnungen mit Menschen, die wirklich berühren. Sie kommen auch in unserer inneren Wohnung (teilweise vollkommen unerwartet) in Bereiche, in die man nicht alle Tage jemanden einladen würde. So etwas fühlt sich dann häufig wie ein Wiedersehen mit einem alten Verbündeten aus längst vergangenen Zeiten an. Und dann gibt es Kontakte, die genau an jene Türe klopfen, die man selbst ungern öffnet.
Wenn wir in dem Bild der inneren Wohnung bleiben, dann ergibt jede Wahrnehmungsschulung, wie unterschiedlich sie auch sein mag, einen Sinn. Sie bietet die Chance, sich mit der inneren wie äußeren Welt zu beschäftigen und beim “Anklopfen” an die Tür bewusst entscheiden zu können: Wen lasse ich nah heran oder überhaupt herein? In welche Räume erlaube ich (gefährlichen?!) Besuchern einzutreten, wenn diese womöglich Geheimnisse lüften oder Schmerz wittern könnten? Welche Bereiche sind nicht zugänglich — und wie klar bin ich mir selbst darüber? Welcher Kontakt bringt Licht in jenen Raum, in dem ich selbst selten bin?
Wahrscheinlich werden wir in den Bereichen, die wir bewusst oder unbewusst verbarrikadieren und verschlossen halten, nicht sehr freundlich mit Menschen umgehen, die uns -sanft oder schroff- darauf hinweisen, dass da ja noch ein Bereich liegt, der nicht zugänglich ist.
Mittels einer bewussten Körperwahrnehmung und damit der Wiederaufnahme einer inneren Verbindung stellen wir Zugänge zu diesen Bereichen in uns her. Dass der Kontakt dazu gekappt wurde, ist meist aus Schutz passiert. Doch ist dieser Schutz noch notwendig? Was war damals passiert? Vielleicht war die Heftigkeit eines Unfalls so groß? Prallte vor langer Zeit ein überwältigendes Ereignis unerwartet auf Körper und Seele und hat sich nie wieder richtig gelöst? Wurde mit einem neuen Schmerz ein alter wachgerüttelt, der scheinbar sicher verpackt war?
Das ist sowohl körperlich als auch emotional möglich. Vergangene intensive oder folgenreiche Verletzungen bleiben teilweise in unseren Zellen und Leitbahnen stecken und tauchen auch Jahre später bei einer erneuten Verletzung als Barrieren wieder auf. Auch dafür sind Körperreisen und die Wiederaufnahme von guten Bewegungserfahrungen heilsame Therapieformen. http://blog.tina-knape.de/2021/10/28/therapieziel-gute-bewegungserfahrung-sammeln/
Verbindung herstellen, innere Räume besuchen und Laufwege freiräumen bedeuten immer auch, Altem und vor allem Unbeachtetem wieder zu begegnen. Jeder Teil in uns möchte gesehen und im besten Fall angenommen sein. Nur so funktioniert es, ein ” I am enough”, wirklich zu fühlen. http://blog.tina-knape.de/2019/05/19/an-alle-zu-tapferen-da-draussen/.
Für manch weggesperrte, düstere, schmerzhafte Erfahrung ist der Begleitschutz eines Therapeuten eine hilfreiche Erfindung. Bestimmte Dinge kann und muss man nicht alleine bewältigen und lösen. Und jegliche Innenwelten- und Körper- schulenden Sportarten und Hobbies sind wunderbare, vertrauensvolle Zuarbeit.
Es lohnt jedes Stück Rückeroberung von innerer Freiheit! Ich wünsche mutiges Innenräume entdecken und verlorene Fäden wieder aufnehmen.
Merci