Physiotalk-Artikel: Der Schlüssel der Körperwahrnehmung

Der Fachbeitrag
DER SCHLÜSSEL DER KÖRPERWAHRNEHMUNG, ein Behandlungsbeispiel

In meiner Arbeit an der Behandlungsbank kristallisiert sich nach all den Jahren immer mehr ein Schwerpunkt heraus: Der Schlüssel der Körperwahrnehmung.
Losgelöst von den verschiedensten Techniken und Behandlungsansätzen ist es ein wunderbares Unterstützen und Innen-Mitarbeiten des Patienten, was wiederum seine Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung stärkt.

“Unser Körper ist der Tempel, in dem wir wohnen.”

Wenn wir davon ausgehen, dass der Körper unser Tempel ist, in dem wir wohnen, ist es durchaus interessant und entscheidend, so viel wie möglich da und drinnen zu sein.
Meine Einstiegsfrage an den Patienten ist: “Zu wie viel Prozent sind Sie gerade hier?” “Wenn man davon ausgehen kann, dass jeder 100% ist, was würden Sie sagen, wie viel Sie gerade hier in Ihrem Körper sind?”
(Dazu gibt es so überraschende Rückfragen wie: In diesem Raum- oder im Körper? Da weiß man: Die Frage scheint eine gute Idee zu sein.)
Es ist wirklich erstaunlich, was als Antwort kommt. Probieren Sie es einmal aus!
Allein dieser Auftrag lässt die Patienten mit voller Aufmerksamkeit in sich gehen. Es ploppen die verschiedensten Antworten auf. Zum Beispiel: 70%.
Für den Patienten ist es häufig selbst überraschend, was er als Antwort gibt. Manchmal fühlen sich Menschen auch ertappt, dass sie nicht “ganz da sind”. Es bleibt wertfrei und geht eher darum, Präsenz zu üben. Das ist der Weg des Wahrnehmens.

Neben “wie viel bin ich da” ist es vielleicht auch interessant zu gucken: Wo ist denn der Rest?
(Meist kommt man damit aber leicht vom Weg ab.)
Es ist empfehlenswert, die Teilchen, die da sind, wahrzunehmen und eher auszubauen, in dem andere “Unterwegs-Teilchen” angelockt und eingeladen werden, sich dazu zu gesellen. Man kann sich eine Art Sogwirkung vorstellen. Schließlich waren einmal 100% für diesen Körper ausgelegt. Lassen sich die “Ausflügler” zurücklocken?
Es bleibt ein Ausprobieren, ob, wie und was funktioniert.
Die nächste Stufe dazu könnte sein, zu spüren: Wie sind diese Prozente verteilt?
Dafür ist es häufig hilfreich, vorher nach einem inneren Bild zu fragen, wie die “Teilchen” aussehen: Ob es Sterne sind oder Energiebälle, Gummibärchen oder Bob der Baumeister… dabei ist der Kreativität und der Phantasie keine Grenze gesetzt.
Also, wie sind besagte Prozentpunkte im Körper angeordnet? Mehr oben, mehr unten, mehr links, mehr rechts? Gibt es ein Stauungsgebiet? Gibt es Bereiche im Körper, die weniger besiedelt sind? Wie ist die Qualität der einzelnen Punkte? Sind sie aufgebläht oder dünn, energetisch oder k.o.? Stimmen Symptomgebiete mit den Prozent-Auffälligkeiten überein? Gibt es überraschende Entdeckungen bei der inneren Visualisierung seiner selbst?

Wahrnehmung ist der Schlüssel.
Und so haben Sie als Therapeut im besten Fall zwei Hände am Patienten, um ihn in seinem Fokus zu unterstützen. Dass als Basis der Therapeut selbst eine hohe “im Körper sein”-Präsenz hat, sollte als Voraussetzung klar sein. So wie eine Untertasse die Tasse trägt. Während ich diese Fragen stelle, beantworte ich in mir (im Hinblick auf den Patienten) diese ebenso – und gleiche meine stille und seine ausgesprochene Antwort des Patienten ab. Neben der eigenen Wahrnehmungsschulung biete ich ggf. mein Gespürtes als zusätzliche Orientierung an.
Mit dieser gezielten, fragenden Aufmerksamkeit ergibt sich aus der einen Antwort die nächste offene Frage. Gleichzeitig erreichen Sie ein wunderbares Nachspüren des Patienten in seinem Körper. So ist es, als würde er von innen die Tür öffnen oder zumindest auch seinen aktuellen Baubestand prüfen.
Um in dem Bild zu bleiben: In einem Haus mit offenen Türen und Fenstern kann leicht ein Wind hineinfegen und alles durcheinanderbringen. Ein recht unbewohnter Körper bietet weniger Schutz und somit leichteren Einlass für Erkrankungen. Es schafft schwierigere Bedingungen für unsere Selbstheilungskräfte.
Dieses Bild ist den meisten Patienten vollkommen klar.
Dieses “Wie viel bin ich da?” gebe ich gern als Wahrnehmungs-Hausaufgabe mit. Das verbessert das Gespür des Patienten. “Wann ist es mehr?” “Wann ist es weniger?” “Was sammelt mich eher zusammen?” “Was zerstreut eher?” “Was macht mich gefüllter?” “Wann bin ich eher flüchtig?”… Ein großer Vorteil ist: Das Üben ist letztlich überall anwendbar- ob in einem Meeting oder wartend an der Bushaltestelle.
Schon mit dem Fokus nach innen und wie es dort eigentlich aussieht, passiert ein ganz wesentlicher Teil: Präsenz im Körper und ein Ankommen im Hier und Jetzt. Das schafft optimale Bedingungen für Behandlungen jeglicher Art, egal, ob mittels einer Technik aus der Manuellen oder mit einem viszeralen Griff. Mit dieser inneren Anwesenheit kommen Sie ganz anders im Gewebe an und Kontakt entsteht.

http://www.physiotalk.de/2017/02/der-schluessel-der-koerperwahrnehmung-ein-behandlungsbeispiel/

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