Gesundes diagnostizieren

Der Status quo im medizinischen Bereich ist der: Ohne Diagnose — keine Behandlung. Wenn man als Heilpraktiker*in eine Rechnung schreibt, braucht es immer eine “Pathologie”, die man benennt, um die Behandlungsbedürftigkeit zu erklären. Der Untersuchende ist somit beim Befunden immer auf das “Kranke”, das “Ungesunde” ausgerichtet. Doch während man als Behandelnder nach einer Ursache, also dem Kern der Beschwerde schaut, finden sich auf dem Weg dahin auch immer wunderbare, fitte, genesene, fließende, gesunde Aspekte. Diese werden meist leider nicht dokumentiert, geschweige denn gegenüber dem Patienten kommentiert.

Es ist auch ein Geschenk, wenn ein Körper nach einer schweren Verletzung die Fähigkeit hat, gut zu kompensieren: /http://blog.tina-knape.de/2019/05/11/ein-hoch-auf-die-kompensation/.

Gleichzeitig ist das Zusammenspiel von Körper und Geist immer wieder überraschend. Neulich fühlte sich meine Patientin mental schon “befreit”, aber der Körper hinkte noch verspannt und verknotet hinterher. Dann wiederum hatte ich vor ein paar Tagen erstmals einen jungen Patienten, der körperlich viel freier und fließender war, als er es bisher in seiner Wahrnehmung passend zu seiner aktuellen Lebensphase- Spannung verordet hatte. Es war hilfreich, ihm zu beschreiben, wie sein Körper sich “ausgewogen” und auch fließend für meine Hände anfühlte, anders, als er selbst es gerade spüren konnte.

Wie ein Verkehrspolizist auf der Suche nach den “Verstößen” und “Auffälligkeiten” in seinem Dienst unterwegs ist, so ist leider auch unser Blick in der Therapie recht einseitig. Wie ergänzend und bereichernd ist es aber, auch einmal das “Gute” zu benennen, die freie Beweglichkeit und die uneingeschränkte Funktion (beispielsweise des Nachbargelenks) hervorzuheben. Es ist ein bisschen wie beim Feedback geben. Unterstreichen, was derjenige gut kann und welche Aufgabe er stimmig ausfüllt. Ein Feedback über das “Gesunde” freut (und überrascht) auch den Patienten in all den sonstigen Schmerzen, Beschwerden und Co. Plötzlich zu hören, was “frei” und “unauffällig” ist, erreicht. Letztlich klappt auch im Straßenverkehr ziemlich viel, wenn man sich überlegt, wie viele Verkehrsteilnehmer unterwegs sind. Deswegen: Blickwinkelwechsel! So braucht es in der Medizin einerseits die Fähigkeit, “Störfelder” aufzuspüren – aber gleichzeitig ist ein Honorieren der vorhandenen Funktion, die Wertschätzung mancher Selbstheilungskräfte und auch das Benennen der nicht- verspannten Gebiete im Körper eine echte Bereicherung. Es bietet ebenso einen wunderbaren Boden für ein Genesen und eine Weitstellung der Patientensicht. http://blog.tina-knape.de/2020/07/09/blickwinkel-als-helfer/

Lasst uns mehr Gesundes aneinander diagnostizieren.

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