Kröten in der Wolfsgrube

Eine philosophische Frage

Neulich im Urlaub in Südtirol bestaunten wir eine ehemalige sog. Wolfsgrube. In diese etwa 5 Meter tiefe Grube wurden im 19. Jahrhundert Wölfe gelockt, um sie dort zu fangen und unterschiedlich viel Profit aus ihnen zu ziehen. Mittlerweile ist die Grube ein eingezäuntes Mauerwerk im Waldboden, wie eine Art Brunnen, von oben abgedeckt mit einem grobmaschigen Metallgitter. Daneben steht eine Infotafel zu den alten Traditionen, denn der Ort dient nun als eine Art Sehenswürdigkeit an einem Wanderweg.

Am Boden der Wolfsgrube hat sich nach all des Regens in diesem Sommer eine kleine Pfütze gebildet und mit den wachsamen Augen der Kids entdeckten wir beim genaueren Hinschauen die erste fette Kröte am Boden, als sie sich ein bisschen bewegte. Je länger wir hinschauten, umso mehr große und kleine Kröten fielen uns auf und auch, wie kleine Mückenschwärme in der Tiefe über dem Wasser schwirrten. Zusätzlich befanden sich verschiedene lange Äste in dem Brunnen. Wurden sie absichtlich eingesteckt – als Leiter?

Je länger wir uns den Tiefen der Wolfsgrube widmeten, umso mehr Details fielen uns auf und wir erfanden spannende Geschichten, welche Krötenfamilien da wohl zusammenleben und ob dies freiwillig oder widerwillig geschieht. In der Mitte der Grube entdeckten wir eine jüngere Kröte sitzend auf einem steilen Zweig. Und nur genau ein Zweig reichte tatsächlich bis zum oberen Ausgang des “Brunnens”. Insgesamt zählten wir 11 Kröten und beobachteten ihre Versuche, sich auch am innenliegenden Gemäuer ein Stück weit nach oben zu hangeln. Bei dem steilen Winkel plumpsten sie schlicht immer wieder zurück.

Eine eher philosophische Frage drängte sich auf. Geht es ihnen da drin total gut? Ist es ein Kröten-Leben im Paradies? Futter in Hülle und Fülle, andererseits geschützt vor Fressfeinden, vereint mit der Verwandtschaft?

Oder ist es ein trauriges Leben – in der Tiefe abgeschnitten von der Freiheit, der Abwechslung, der Weite, dem Gefühl von Lebendigkeit, auch aufgrund der fehlenden Gefahr und Selbstbestimmtheit? Der begrenzte Lebensraum limitiert. 

Es gab zwei schlanke und jüngere Kröten, die die Hälfte des hinauf ragenden Astes vom sumpfigen Boden bis zum luftigen Erdboden geschafft hatten. War es gut, sich dem Rest der Mühe auszusetzen und ein vollkommen anderes Leben oberhalb der Wolfsgrube zu etablieren, dafür aber nicht mehr mit der wohlgenährten Familie zusammenzuleben? Vertrautes und Sicherheit aufgeben für das Ungewisse? 

Was würde wohl eine dicke Kröte unten in der Grube dazu sagen, wenn sie das Bestreben nach oben ins Unbekannte beobachtet?

War es Zufall, dass nur die weniger properen, noch nicht ausgewachsenen Kröten die Äste zum Hochklettern nutzten? Waren die Ausgewachsenen körperlich nicht mehr fähig oder wollten sie nicht, weil sie aufgrund der Fülle der Nahrung und der Erfahrung nicht mehr motiviert genug dafür waren?

Wo ist wohl der bessere Ort – in der Wolfsgrube in Sicherheit, wenn auch auf begrenztem Areal – oder mit Mühe eventuell mit Erfolg bis nach oben gehangelt – und der Freiheit und dem Für und Wider daraus ausgesetzt?

Wie geht es uns im Leben? Bleiben wir lieber im gewohnten, wenn auch nicht nur glückseligen Alltag, mit Mangel oder gar Fülle und doch auch Entfaltungseinschränkung? Oder wagen wir den Aufstieg auf unvertrauten Pfaden in die Freiheit, die doch auch noch unkalkulierbare Gefahren mit sich bringt?

Die Beobachtungen in der Wolfsgrube waren ein sehr nachhaltiges Erlebnis und kurbelten auch manch spannendes Gespräch mit unserer Gastgeberin in Südtirol an, einer Region mit vielen alten Traditionen und einem starken internen Zusammenhalt, um vom Zuzug der gut situierten Fremden nicht aufgesogen zu werden.

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Hat es wohl eine junge Kröte bis nach oben geschafft? Und wie erging es ihr auf dem schier endlosen Waldboden im anfänglichen Schutz der Bäume des Waldes in Südtirol? Ob sie nach einer Weile einfach wieder in die Wolfsgrube zurückspringt? Oder oben ein neues Leben beginnt?

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