Beim Lesen eines buddhistischen Textes stolperte ich abermals über die Formulierung “leer werden”. Sich entleeren, zum Beispiel den Geist während einer Meditation; aber auch von Dingen, die wir im Laufe des Lebens in unserer Wohnung oder unserem Keller sammeln.
Voll und leer findet sich aber auch in ganz körperlichen Dingen. Leerheit stellt eine Kraft dar, die uns hilft, in vollgepackten Tagen und bei vollgepackten Zellen, Raum zu finden. Zum Beispiel: Ganz ausatmen, damit sich frische neue Luft wieder in die Lungen reflektorisch einsaugen kann. Den Darm entspannt entleeren, um Platz zu schaffen für neue Nahrung, die unseren Körper mit frischer Energie versorgt.
Doch auch in jeder einzelnen Zelle gibt es vollere und leerere Zustände. Dazu passt das Körpergefühl, was ich gelegentlich beim Behandeln als Feedback über meine Hände bekomme: An verletzten Körperstellen oder/ und drumherum ist es gefühlt “zu voll”. Damit meine ich nicht eine lymphatische Schwellung. Dieser Prozess, dass mehr Lymphflüssigkeit produziert wird, um Entzündliches auszuschwemmen, gehört zu einer natürlichen Wundheilung. Nein, es ist eher ein Gefühl von “verstopft, überfüllt, nicht gut im Flow”. Für eine optimale Heilung braucht z. B. ein Gelenk bzw. der ganze Körper, Raum, es resorbieren und reparieren zu können. Ein guter Gesamtfluss im Organismus sorgt für ein leichteres Abfedern der Verletzung und schafft die Grundbedingungen, gestaffelt auf zu belasten.
In einem gewissen Rahmen gehört auch eine gesunde Kompensation dazu. http://blog.tina-knape.de/2019/05/11/ein-hoch-auf-die-kompensation/
Doch es geht vor allem auch darum, Körper und Geist immer wieder Gelegenheit zum Leeren und neuen Raum schaffen zuzugestehen. Dafür nutzen wir im besten Fall Pausen. Pausen, um dem Körper Zeit zum Regenerieren zu lassen. Pausen, um nicht ganztags vollgefüllt mit Input zu sein. Auch dazu gibt es Urlaubstage, um mit einer örtlichen Veränderung uns auch mental aus unserer Alltagstaktung zu lösen und Raum für neue Eindrücke zu schaffen. Vielleicht ist deswegen und gerade mitten in der Corona-Zeit genauso der Wunsch da, einen Standortwechsel vorzunehmen und zu reisen. Neulich auf einer längeren Autofahrt ohne Insassen (kein Kinder-Entertainment nötig!) hatte das auf mich einen durchaus leerenden Effekt. Autobahn fahren mit Musik auf den Ohren und Wind im Haar — wunderbar monoton zum innerlichen Sortieren. Auch Monotonie hilft manchmal zum Leer werden. Das erklärt vermutlich, warum es spirituelle Buchtitel wie Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen gibt, die darauf verweisen.
Ausdruck ist ein weiteres gutes Mittel http://blog.tina-knape.de/2019/03/30/wege-des-ausdrucks-ausdruck-als-weg-2/, ein Austausch mit einem Herzensmenschen, Schreiben, Singen, Tanzen, Bewegen.
Mehr raus — oder weniger rein! Andererseits ist es sinnvoll, wachsam sich manchen zusätzlichen Input zu (er-)sparen. Abends den Fernseher mal auslassen und statt dessen, die Wand anstarren, Mandalas malen oder einen Abendspaziergang machen. Das Handy auf stumm schalten, um nicht bei jeder neu reinploppenden Nachricht es direkt wieder griffbereit zu haben. Sich manch Smalltalk entziehen, wenn sich die Unterhaltung eher wie Pflichtprogramm anfühlt. Mal nicht reden und die Stille aushalten oder gar genießen. Auch das ist ein Experiment wert.
Wie vollgepackt fühlen Sie sich heute? Wie ist wohl Ihre schon vertraute Strategie, leer zu laufen? Wo im Körper fühlt es sich eher voll oder eher leer an? Kennen Sie den Zugang dazu, wieder für mehr inneren Raum zu sorgen?
Auf körperlicher Ebene ist das Behandeln und gezielte Bewegen immer wieder ein guter Kanal, um den sogenannten Flow zu unterstützen und einen verbesserten Fluss wieder herzustellen. Auch dafür hilft die Berücksichtigung der “Nachbarschaft” http://blog.tina-knape.de/2020/02/21/fuer-gute-nachbarschaft-im-koerper-sorgen/. Zusätzlich führt Hinspüren und die verletzte Stelle kontakten zu einer besseren Verbindung, die auch positiv die Wundheilung beeinflusst.
Leer laufen, sich leer machen, sich leeren. Manchmal leichter gesagt, als getan. Mögen Sie verschiedene eigene Strategien entwickeln und sich den Raum dafür nehmen.