Auf dem Meer

04.01.15
Nun schon seit 10 Tagen bin ich auf den Weiten des Indischen Ozeans, der kein Ende zu nehmen scheint. Südlich von Madagaskar, kontinuierlich mit 18 Knoten unterwegs, ohne Unterlass, ohne Pause, pirschen wir uns vor, mit einem Koloss an Schiff. Es ist 334 m lang, trägt aktuell 4589 Container, transportiert mit einem Eigengewicht von 33868 t noch weitere 88293 t, davon wiegen die Container 76972 t. Das Schiff schluckt für diesen Akt 115 t Brennstoff am Tag.

Nach nun schon Tagen mit silberner oder ölig ruhiger See, einer ungebrochenen Woge um uns herum, saß ich allein vorn am Bug, besser gesagt, lag ich auf dem Deck. Nur ein großes Stück Stahl unter mir- und dann 5000 m Wasser, bis irgendwann ein Meeresboden kommt. Ein wunderbarer Ort, um über Leben und Sterben nachzudenken.
Es ist uns Menschen, so wie wir als Landbevölkerung beschaffen sind, nicht möglich, diesen “festen Boden” unter dem Kiel jemals zu erreichen. Selbst meine Tauchuhr aus einem Stück gegossen, hält nur bis 300 m durch und schon diese Tiefe ließe die Lunge auseinanderfliegen und die Zellen so zusammenquetschen, bis sie zerbersten.
Um uns herum ist nichts. Nichts außer Wasser. Keine anderen Schiffe für mehrere Stunden, bis wieder mal eins auf dem Radar und ggf in Sichtweise auftaucht. Dies hat gute Bedingungen geschaffen, alte Notraketen als Silvesterboller aus der Hand loszujagen, als unsere schiffsinterne Uhr Mitternacht angezeigt hat und ich hier den Jahresübergang von 2014 auf 2015 miterlebt habe.
So standen wir auf der Brücke versammelt, mit einem Glas Californischen Sekt, alle ein wenig befremdet, weil irgendwie dann doch keiner ausgelassen einem anderen um den Hals fallen wollte. Doch was für ein Sternenhimmel, nur ein bisschen erblassend durch die Kraft des nahenden Vollmonds. Der Orion über uns, das Kreuz des Südens immer mehr Richtung Zenit wandernd. Ein Jahreswechsel, bei Sommertemperatur zur Nacht, den Äquator noch nah. Sanften Fahrtwind auf 38 m über dem wabbernden Meeresspiegel, mit vier Nationen an Bord. Keine Gäste, sondern Arbeiter und Passagiere, Kompagnions für mind 28 Tage auf dem gleichen metallernen Ungeheuer, was so eine Sicherheit ausstrahlt und doch nur so vor sich hinsurrt, weil die einzelnen Abteilungen an Bord ihren Beitrag dazu leisten, das Monstrum allein in der horizontweiten Wasserwüste zu bedienen und zu versorgen. Der große Auftrag dahinter, der hier in den Köpfen wohl nicht ganz so präsent ist: Bepackte Container von A nach B bringen, von Asien nach Brasilien. Verpackte Geheimnisse, weil selbst der Captain nicht weiß, was drin ist. Die einzige Spezifizierung, die es gibt, ist das Wissen um “dangerous goods”. Doch was genau so gefährlich ist, bleibt eben doch verschlüsselt.

Doch zurück zum Erleben auf dem Frontdeck. Ganz vorn auf dem Schiff ist es still, der Maschinenraum und das Brummen und Vibrieren und somit der Herzschlag des Schiffes, auch die Raucherlunge, ist zu weit weg, um davon erreicht zu werden. Es ist nur das Flatschen des Wasser am Bug zu hören, das Flirren von gelegentlichen Fliegendfischen, das Rauschen des Windes über die erste Erheben nach so langer Zeit. Und mit meinem Rücken auf dem Stahl, zum “Greifen nah” an der glitzernden Wasseroberfläche, unter dem friedlichen blauem Himmel wird mir die Illusion bewusst, wie es sich hier einerseits so sicher, versorgt, intakt, vertrauensvoll, kontinuierlich anfühlt- und andererseits ich eine Schrittlänge von einer Weite umgeben bin, die unermesslich scheint. Eine Handbreit entfernt von einem Element, was kein Überleben eines Menschen für eine Zeit von ein paar Minuten, ein paar Stunden zulässt. Und welche Faszination wohl auch gerade darin steckt…

Der Blick aufs Wasser bedeutet für mich Frieden. All diese Wellen, all dieses Zusammenspiel, ein Ausblick auf einen Ausschnitt des großen Ganzen, soweit mein Auge reicht. Wo hat man das schon?
Und ich bekomme nochmal einen anderen Zugang zur Aussage: Jeder von uns ist nur ein Tropfen in der Weite des Ozeans.
Hier ist der Ort für mich, an dem ich Demut in mir spüre, vor diesen unbezwingbaren Elementen, wie Wind und Wasser, die mich nun schon so viele Tage begleiten und umgeben. Es gibt spürbar etwas Größeres als jedes kleine Ich.

Und diese Weite gibt auch inneren Raum für Zulassen und Beleuchten, Sehnsüchte und Freuden, die eingerahmt sind in der Struktur der drei warmen Mahlzeiten zu festen Zeiten. Rahmen und Raum.
Meine Tage fühlen sich ewig lang an.
Außerdem drehen wir hier mittlerweile aller zwei Tage jede Nacht an der Uhr, um uns mit der Reisegeschwindigkeit auch ein bisschen den Zeitzonen anzunähern. So haben nun auch noch tatsächlich ganz bewusst mehrere Tage 25 Stunden. Zeit, die zur Verfügung steht, sie mit dem zu füllen, wonach mir beliebt. Wann hat man das schon?

In einigen dieser Tage an Bord hab ich die Energie des Sonnenaufgangs schon in mich aufgesogen. Gefühlt allein wach und über den Wellen auf Meilen, hunderte Kilometer bis zum nächsten Schiff, saß ich um vier Uhr auf meinem kleinen Holzhocker und konnte dem Leuchten des Himmels und des Wasser, schon bevor die Sonne sich zeigt, uneingeschränkt zugucken. Und jeden Morgen entstanden neue Farben, vom silbernen Teppich, der ungebrochen wabberte bis zum orangenen Erstrahlen der freundlichen Wolken am Horizont. Ich saß in einem Zauber der Bewusstheit der Zeit. Wann nimmt man sie sich schon?

So fühle ich tiefen Frieden, nehme, was ich hier habe, sehe, was meine Augen aufnehmen können, genieße, was da ist und spüre eine Ruhe und Dankbarkeit, die mich erfüllt.

Und seit gestern schaukelt das Schiff auf der blubbernden See. Es fühlt sich an wie auf einer Wippe, wie im ruhigen Puls des Meeres, rollt es von links nach rechts und wieder von rechts nach links. Auf dem Gang vor meiner Kammer geht man bergauf oder bergab. Auf dem Stuhl beim Essen habe ich das Gefühl, als äße ich, während ich auf einer langsamen Schaukel sitze und den Oberkörper mit vor und zurück bewege, um es auszugleichen.
Die Handläufe auf den Gängen zeigen ihre Funktionalität. Der Pfefferstreuer fiel heute erstmals beim Frühstück um.
Ein weiteres Gesicht der Größe und Macht des Ozeans zeigt sich und ich sitze weiter staunend mittendrin und werde heute noch erkunden, wie sich das wohl auf der Nase des Schiffes erst anfühlen muss. Es ist ein Annehmen von jedem Moment, so wie er gerade ist.
Und wieviele Gesichter des Meeres werde ich wohl noch die nächsten Tage kennenlernen? Es ist noch nicht mal Bergfest.

Möget Ihr alle auch ein friedvolles neues Jahr 2015 haben, innen und außen und mit lebendiger Bewegung.

Ein Kommentar zu “Auf dem Meer

  1. Gerald

    Danke für deine schönen Worte. Deine Berichte aus einer anderen und doch dieser Welt sind für mich immer sehr berührend und inspirierend. Ich wünsche dir auch ein wundervolles, gutes neues Jahr wo auch immer du verweilst!

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