Der Fünf-Euro-Schein

Lisa stand am Zebrastreifen und schaute über die Straße zu dem schicken neuen Baristacafe gegenüber. Sie hatte neulich schon die frisch beklebten Scheiben bemerkt, doch konnte mit dem Namen noch nicht so viel anfangen.

Seit sie in die Stadt gezogen war, gab es thematisch in diesem Eckladen schon einiges. Ein Herrenausstatter, ein Corona-Testzentrum, ein Vodafone-Laden und nun das Cafe. Wobei, zum Verweilen sah es gar nicht so gemütlich aus. Es sah eher wie ein “Komm rein und trink einen teuren Kaffee und geh schnell wieder” Laden aus. Auch eine Art neuer Testläden, in der Fülle, wie sie aktuell in manch Stadtteilen aus dem Boden sprießen. Getestet wird hier nur etwas anderes: Wie hipster und cool bist du? Und hast du Zeit für eine Keramiktasse oder nimmst du Koffeinhochgenuss im to go Pappbecher zu dir? Würde sie den Test bestehen?

Ein Auto hielt am Zebrastreifen und riss Lisa aus ihrer Gedankenschleife. Sie marschierte nun entschlossen los, fühlte den 5-Euro-Schein in ihrer linken Jackentasche und wagte sich näher an die Eingangstür. War sie lässig genug, da aufzuschlagen und sich auch so ein Überflussgetränk und Kultprodukt zu gönnen?

Aus den Boxen schwappte ihr ein “Mi amore, mi amore, espresso macchiato, macchiato, por favore” entgegen und sie konnte sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen. Das war ihr Call. 

Sie schritt durch die angelehnte Eingangstür, las die Druckbuchstaben und die Preise für Flat white und Cappuccino. Von der anderen Seite näherte sich an den Tresen ein Surfertyp mit Tattoo bis hinters Ohr und fragte mit englischem Akzent: “Bon giorno. Was möchtest Du?”

Lisa wurde rot, wie sie erwartet hatte. Er hat ihr sicher angesehen, dass sie hier noch keine Stammkundin ist und vielleicht auch nicht cool genug für so einen Laden. In ihrem trockenen Hals kam erst ein kleines Krächzen, dann ein “Cappuccino bitte”. Scheinbar reichte das noch nicht, weil seine Rückfrage war: “Mit Hafermilch oder Kuh?” 

“Oh, richtige Milch bitte, sorry.” Sie fühlte sich hier wirklich, als müsste sie sich entschuldigen, weil sie nicht vegan war? 

Mit einem “Okay, sonst noch was?” konnte er von Lisa nur noch ein Kopfschütteln bekommen. Ihr Wortkanal hatte sich final zugeschnürt. “Hier trinken oder mitnehmen?” Noch eine Frage. Mit dem Finger nach unten zeigend quetschte sie ein “hier” durch ihre Stimmbänder.

“Okay. Vier Euro 10 Cent bitte.” 

Sie nestelte an ihrer linken Tasche und holte den Schein raus. Um wenigstens jetzt cool zu wirken, schob sie diesen räuspernd mit einem “Stimmt so” über den Tresen. Wie knauserig würde das wirken, wenn sie sich jetzt noch etwas rausgeben ließe? Wenn man schließlich in so einen Laden wie diesen geht, dann lebt man im Überfluss, innen und außen. Das war ja gerade die Übung.

Doch nichts stimmte: “No, sorry, kein Cash. Wir nehmen hier nur Karte.” und tippte dabei auf das fest installierte Kartenlesegerät, was sie jetzt erst erblickte.

Echt jetzt?

Sie wurde bleich, schluckte, um irgendwie wieder sprechen zu können und stammelte: “Das hab ich aber nicht, also habe ich jetzt nicht dabei.”

“Dann gehts wohl heute leider nicht. Sorry.
Der nächste bitte!”

Lisa trat einen Schritt nach links und sie kam sich vor wie im falschen Film. Nur raus hier. Doch alles in ihr war auf Zeitlupe eingestellt. Als liefe sie durch eine zähe Schleimschicht versuchte sie, einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Wie halbwegs leichtfüßig und mutig war sie hier noch reingegangen— und wie erschöpft und gelähmt hangelte sie nun der Tür entgegen, ganz ohne Kaffeegenuss.

Ein Rückschlag. Das würde sie wohl morgen mit ihrer Therapeutin besprechen müssen. Jetzt scheiterte sie sogar in einem Cafe, beim Bestellen eines Kaffees. Die Pechsträhne riss einfach nicht ab.

Gerade hörte sie noch “no stresso, no stresso, no need to be depresso”. Leichter gesungen als getan.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert