Hiermit möchte ich versuchen, den trüberen Teil meines Rückblickes auf die vergangenen zwei Jahre in Worte zu fassen, auch wenn es sich um ein dynamisches Thema handelt. Was taucht bei Ihnen bei Fragen auf, wie: Wie war und ist die Stimmung? Was passiert gerade im Innen? Was wird von Außen angeschoben? Was geht zu verändern? Was etabliert sich als neues Normal?
Unter der Pandemieglocke fühlen sich die letzten Monate für mich dunkler und trüber als zuvor an. Kaum eine Begegnung, die sich nicht darum dreht. Meinungen, egal, welcher Art oder Richtung, treffen bei einem Austausch aufeinander.
Schon am Anfang dieser Pandemie habe ich mich gefragt, wie wohl eine Retrospektive auf diese Zeit ausfallen wird. http://blog.tina-knape.de/2020/04/23/keine-pause-in-der-pause/ An dieser Stelle sind wir leider immer noch nicht. Seit geraumer Zeit warte ich darauf, dass ein Zenit erreicht ist. Ein Kipp-Punkt, an dem Sorge, Druck, Spannung, Kollateralschäden http://blog.tina-knape.de/2020/10/29/wo-wohnt-die-wuerde-in-coronazeiten-die-gewichtung-von-kollateralschaeden/, Betroffenheit etc. wieder abnehmen, anstatt sich weiter zu steigern. http://blog.tina-knape.de/2021/07/29/regeln-druck-und-ihre-auswirkungen/ Doch dieser Zenit ist in meiner Wahrnehmung noch immer nicht erreicht, gar in Sicht.
Ich sehe erschöpfte, müde, energielose Menschen. Ich sehe selbstgerechte Menschen, die die Wahrheit zu wissen behaupten, egal, auf welcher Seite des Für und Wider sie stehen. Ich höre gruselige Geschichten, wie bei Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen ein stetig wachsendes Somatisieren einsetzt. Ich kenne erfahrene Kollegen, die beim Eintreten der Impfpflicht im Gesundheitswesen ihre Arbeit niederlegen werden und sich nach Alternativen umsehen. http://blog.tina-knape.de/2021/01/12/impfung-und-raum-lassen-fuer-eigene-entscheidungen/ Ich höre Fünfjährige aus der Kita, die jetzt “auch endlich geimpft werden wollen”. Ich weiß vom großen Mangel von psychotherapeutischen Therapieplätzen.
Wann lichtet es sich wieder? Wann und wo wird es wieder heller? Wann tanken wir wieder Energie auf und kehren in ein alltägliches Gesprächs- Geplänkel zurück? Früher fand ich Smalltalk echt Mist, jetzt sehne ich mich manchmal danach. Auch irgendwie verrückt.
Die Reihe der neuartigen Verrücktheiten gilt es vielleicht weiter zu benennen, sodass wir in ferner Zukunft die Erklärungen noch wissen, was sich “damals” so zermürbend anfühlte. http://blog.tina-knape.de/2020/04/30/wahrnehmungsschulung-mundschutz-tragen/ Neulich tauschte ich mich mit einer Kollegin aus, wie abgefahren es ist, dass ich hinter verschlossener Tür auf der Toilette “heimlich” die FFP2-Maske runternehme, um “einmal durchzuatmen”. Sie übrigens auch. Es beruhigte mich, dass ich mit so abstrusem Verhalten nicht alleine da stehe.
Auch der Gastronomie- und Kulturbereich muss abermals die neuen Regeln des Plus zum jeweiligen begrenzten G umsetzen und Personalien prüfen, die beim Kaffeetrinken nie eine Relevanz hatten. Selbst bei einem Coffee to go Laden mit nur Tischen an der frischen Luft, gibt es separate Tische zum Stehen, wenn man nicht die ersten beiden Gs erfüllt. Jegliche Leichtigkeit, Spontaneität und Genuss des “Essen gehens” ist genommen. Unangenehme Gefühle auf beiden Seiten — oder dann und wann seltsam verschobene Genugtuung unter den Geboosterten und sich-sicher-Fühlenden. Doch auch das bröckelt. Die versprochene Sicherheit zeigt sich nicht in dem Maße, wie es angedacht war.
In manchen Regionen steigen die Zahlen der regelmäßigen Montagsmärsche, bei denen Menschen ihre vielschichtige Unzufriedenheit zeigen. Dabei Durchmischen sich zugegeben seltsame Themen. Doch es zeigt auch auf, wie die Zeit Kräfte geraubt hat, Aggressionen stärker geworden sind, sich ein Miteinander verändert. Alte, unaufgearbeitete Traumen klopfen mit größerer Heftigkeit an. Ehen knirschen. Kleine Läden schließen. Das Schulniveau sinkt. Auf gesellschaftlicher Ebene bläht sich ein großer Schatten auf, der neben den Symptomen einer Corona-Infizierung noch ganz andere, psychologische Facetten des Krankseins mit sich bringt.
Innerhalb von einer Woche höre ich nicht nur persönliche bedrückende Lebensgeschichten meiner Patienten. Auch mein Zahnarzt berichtet mir von der stetig steigenden Anzahl Kinder und Jugendlicher, die während der Pandemie zu knirschen beginnen. http://blog.tina-knape.de/2019/03/30/wege-des-ausdrucks-ausdruck-als-weg-2/ Die Leitung der Kita erwähnt ungefragt, dass sie nun die Auswirkungen der C-Maßnahmen bei immer mehr Kindern bemerkt. Vertraute Strukturen und Eltern mit freien Kapazitäten, die das gefühlsintensive Verhalten im Kindsein abfedern können, werden rarer. Reduzierte oder instabile Betreuungszeiten setzen Eltern wie Arbeitgeber weiter unter Druck. Das >Ressourcen übrig haben< auf allen Seiten ist schwer belastet. Geduld und Verständnis verbrauchen sich nach all der nun schon langen Zeit immer schneller.
Auch Pläne schmieden ist noch immer schwierig. Welcher Ausflug oder gar welche Reise kann demnächst wohl planbar möglich sein? Wann findet das ausgleichende Sportprogramm wieder statt — oder ist es nicht gar zu heikel, mehrere Menschen in einem Raum zu treffen? Ist es “unverantwortlich” Freunde und Familie, zu treffen, wenn die Inzidenz hoch ist, egal, was das Herz sagt? Wie lange kann die Lebendigkeit warten? Vollkommen neue Fragen sind aufgetaucht, hören nicht auf, verschieben sich nur!
Ich beobachte diese Erschwernis nicht nur um mich herum. Ich spüre sie längst selbst. Ich versuche, sie zuzulassen und wahrzunehmen, Ruhe und Ausgleich für mich zu etablieren. Ich beteilige mich an einer Online-Yoga-Challenge, um für meinen Körper zu sorgen http://blog.tina-knape.de/2019/08/09/fuer-zuhaus-bei-schulter-nacken-beschwerden/, telefoniere mit Freund*innen, versuche, den Blick weitgestellt zu halten http://blog.tina-knape.de/2020/07/09/blickwinkel-als-helfer/, strebe an, eigene Optionen- Vielfalt zu wahren und Kapazitäten für all das Empfinden meiner Patient*innen zu halten http://blog.tina-knape.de/2021/02/04/anfassen-und-reden/. Und doch: Im März werde ich mal Pause machen und im besten Fall irgendwo entspannt sitzen, auf das Meer gucken und das Kommen und Gehen der Wellen beobachten. Selbstverbundenheit bleibt eine wichtige Quelle der inneren Kraft.
Ich warte auf den Zenit. Möge er sich zum Wohle aller bald zeigen.
Liebe Tina,
du hast einen beeindruckenden Stil, der mich sehr gut mitnimmt.
Deine Frage, wann der Zenit überschritten ist, können wir vielleicht zu einem großen Teil in uns selbst beantworten.
Vielleicht spielt die Welt verrückt, oder einige Verrückte spielen mit der Welt. Aber wie sehr müssen wir uns in dieses Spiel hineinziehen lassen? Können wir die Regeln ändern? Können wir die Dynamiken für unsere eigene Entwicklung nutzen?
Wir haben eine Zeit des Wandels, die uns Türen öffnet und neue Wege sehen lässt. Die Bereitschaft vieles aufzugeben, macht locker und vieles möglich.
Wir sind geistige Wesen. Man versucht uns hier auf der Erde in das materielle Spiel von Geld und Macht und in Kriege miteinander zu verwickeln?
Wir können es wagen uns unserer geistigen Natur, unserer Friedfertigkeit, Wahrhaftigkeit und unserem Potenzial zu stellen und diese Erde für alle Wesen in einen sicheren und freundlichen Ort zu verwandeln.
Beenden wir das Spiel. Der Zenit ist schon lange erreicht.
Was sind wir doch für kümmerliche ängstliche Gestalten. Wir sollten anfangen über uns selbst zu lachen, bevor es andere tun.
Diese Politik ist von Humor befreit.
Befreien wir uns mit Humor.
Ich warte auch einfach nur. Keine Kraft mehr.
Wieder stark! Dein erstes Buch wartet…