Jeder von uns kennt es, dass wir für knifflige motorische Aufträge gern unsere Schokoladenseite nehmen. Stellen Sie sich mal auf ein Bein! Na, welches Bein ist es? Schokoladenseite! Steigen Sie mal auf einen Roller oder Skateboard /- Snowboard und schieben Sie sich ab! Welcher Fuß ist vorn — Goofy oder Regular?
So haben wir bevorzugte Bewegungsabläufe, die nicht allein über die Händigkeit zu erklären sind. Auch, dass wir mit einer Hand geschickter als mit der anderen sind, hat nicht nur mit Veranlagung, sondern auch mit Übung zu tun. So ist es auch für die Frische im Hirn sinnvoll, als Abwechslung dann und wann die PC-Maus mit der anderen Hand zu bedienen. Die einseitig genutzte Unterarmmuskulatur freut sich ebenso. Probieren Sie das einmal eine Woche lang aus. Sie werden Fortschritte sehen! Als Linkshänder hatte ich zu früheren Reisezeiten (noch so ganz ohne Smartphone) in so manch peruanischem Internetcafe dafür besondere Trainingseinheiten. Meist waren die störrischen alten Computermäuse stetig rechts installiert und somit jede Mail in die Heimat eine motorische Herausforderung.
Auch in der Physiotherapie erleben Patienten, wie es ist, aufgrund einer Verletzung oder Bewegungseinschränkung ihren bevorzugten Arm bzw. Hand nicht einsetzen zu können und auf die ungewohnte Seite umstellen zu müssen. Das ist nervig, aber möglich. Besonders hart trifft es Menschen mit beidseitigen Verletzungen. Dabei denke ich beispielsweise an eine ältere Patientin mit beidseitigen Ellenbogenfrakturen nach einem Sturz. Nach so einem Ereignis mit all den anfänglichen Einschränkungen wird einem erst klar, wie häufig man bei Alltagsbewegungen den Arm beugt und streckt, um sich Hosen hochzuziehen, die Brille aufzusetzen oder Essen zum Mund zu führen. Dabei lernt man nicht nur seinen Körper besser kennen, sondern auch Demut und um Hilfe bitten.
Ein Bekannter hatte sich beim Tennis beide Patellasehnen (befinden sich am Knie) zeitgleich gerissen. Mit Orthese und Stützen gehen ist müßig genug – erst recht Treppen hoch und runter. Doch wenn das jeweils andere Bein ebenso betroffen und kein Moment der Entlastung möglich ist, bleibt es am Anfang schier unmöglich. Auch das kontinuierliche Aufbelasten stellt eine besondere Herausforderung dar.
Seltsamerweise schleicht sich bei der Therapie (auf Patienten- und Therapeutenseite) manchmal leider die Idee ein, dass eine andauernde Parität auch in der Wundheilung und Kraftentwicklung herrscht. Die Narbe soll möglichst gleich schön aussehen. Die Kraft soll wieder gleich stark werden. Doch, was wäre, wenn wir uns auch da eine Heilungs-Schokoladenseite erlauben und jeder Verletzung ihre ganz eigene Art der Regeneration einräumen? Vielleicht ist es viel zu ambitioniert gedacht, dass das Gewicht der Hantel gleich sein muss? Vielleicht geht ein Einbeinstand auf der linken Seite nicht genauso lang zu halten wie auf der rechten — und das ist auch okay so?
Ich habe das Gefühl, dass das Vergleichen der Seiten, für Therapeut und Patient nicht förderlich ist. Vielleicht sollten wir uns dabei viel mehr “Schokoladenseiten” erlauben. Symmetrie herrscht nicht in allem. Es ist ein Ziel, aber nicht immer ein Muss. Wir haben zwar zwei Augen und zwei Ohren, gleich sehen oder hören ist damit trotzdem nicht gewährleistet. Das stimmige Zusammenspiel ist die Zielsetzung jedes Optikers/ Akustikers. Ähnlich ist es auch in unseren beiden Armen und Beinen. Individuell angepasste “Brillengläser” und “Hörgeräte” für unsere Extremitäten wären ein adäquates Bild, um manch Erwartungsdruck zu reduzieren. Sich verletzungsspezifisch zu orientieren, was es auf der jeweiligen Seite braucht, lohnt sich — ohne zu viel zu vergleichen.
Jedem Tierchen sein Pläsierchen.