Bei mir entstehen neue mimische Züge! Seitdem in Deutschland an speziellen Orten Maskenpflicht besteht, habe ich dies in zwei verschiedenen Situationen besonders festgestellt. Ganz andere Areale im Gesicht bekommen einen Ausdrucksauftrag. Geht Ihnen das auch so? Wann es in meinen Augen sinnvoll ist, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und wann nicht, hatte ich hier schon einmal beleuchtet: http://blog.tina-knape.de/2020/04/30/wahrnehmungsschulung-mundschutz-tragen/
Gefühlt sind wir jetzt in Stufe 2 angekommen. Wir haben gelernt, wo und wann eine Maske benötigt oder gefordert wird und wo nicht. Irgendwie tritt dafür nach einer gewissen Zeit nun eine Art Gewöhnung ein. Ich findet mittlerweile in jeder Tasche eine, durchaus auch unterschiedliche Modelle. Auf den Straßen sammelt sich damit aber leider auch neuer Müll. Es entwickeln sich außerdem seltsame Stile, wo und wie Menschen ihren Mund-Nasen-Schutz in Momenten des Nicht-Brauchens verstauen. Mir begegnen Menschen häufiger mit einer Maske als Kinnschutz, gelegentlich als eine Art Ein-Ohr-Aufhängung, selbst Maske über Basecap gespannt, ist mir schon über den Weg gelaufen.
Was sich aber gleichermaßen mit verändert, ist die Art, sich gegenseitig anzuschauen. Was sagt die Maske, was sagt der Rest? Beim Aufeinander zugehen fallen auch verschiedene Designs ins Auge. Es gibt Modelle mit Sprüchen darauf (eine hessische Variante trug neulich mein original Frankfurter Patient: “Babbel mich net voll, wasch dei Händ”). Bei modisch-stylischen Frauen passt das Stück Stoff häufig farblich abgestimmt zum Kleid. Andere hingegen haben eher den Charme eines Tischdeckchens, was nun Ohrenschlaufen dazubekommen hat.
Doch ich finde: Man guckt sich auch mehr in die Augen. So ohne Mimik rund um Nase und Mund fehlt Wesentliches zur non-verbalen Kommunikation. Gerade bei meinen internationalen Patienten mit begrenzten Deutschkenntnissen stellt dieses eingeschränktere Sichtbarsein eine zusätzliche Barriere dar, sich mitzuteilen. Gleichzeitig ist es für mich eine Herausforderung, noch anderweitig lesen zu können, was sie ohne Worte sagen wollen. Dafür erhalte ich über die Augen mehr Informationen… und mein Gegenüber vermutlich auch.
Neulich hörte ich einem Dialog zu und bemerkte, wie mir unter der Maske ein süffisantes Lächeln entgleiste, während mein oberer Teil des Gesichts seriös blieb. In dem Moment ertappte ich mich selbst und es fühlte sich an, als würde ich gerade eine neue Mimik ausbilden, die ich sonst als Stimmungsbarometer vermutlich eher über das Heben einer Augenbraue ausgedrückt hätte. So bot mir meine Maske einen Sichtschutz und die Erlaubnis zum “geheimen” Emotionen zeigen. Seltsames Gefühl.
Einige Tage später saß ich essend und rumguckend in einem kleinen Falafelladen. In dieser Situation war ich passive Teilnehmerin einer Auseinandersetzung und die Muskeln unterhalb der Nase sorgten abermals für ungefragtes Feedback und Übersetzen meiner Gedanken in Mimik, als ich recht ungeschützt bemerkte: Ups. Gar keine Maske an!
Wäre es nicht spannend, wenn man eine Vor-Corona- und Während-Corona- Studie machen würde, ob unsere Mimik sich verändert?! Wir brauchen unsere Gesichtsmuskulatur, um unsere Emotionen auszudrücken. Deswegen ist im Rahmen von Psychotherapie während der Behandlung das Ablegen der Maske erlaubt. Nur so kann eine emotionale Arbeit adäquat begleitet werden. Doch unsere Gesichtsmuskeln sind nicht nur Ausdruckskanal http://blog.tina-knape.de/2019/03/30/wege-des-ausdrucks-ausdruck-als-weg-2/, sondern auch für die Sprachmotorik, den Lidschluß, zum Essen und Trinken essentiell. Wir haben 23 paarige Gesichtsmuskeln, die uns Stirnrunzeln, Augenbraue heben, küssen, “Schnute ziehen” lassen etc. ermöglicht. Deshalb ist auch immer eine gute Idee, ordentlich Bewegung in die Gesichtsmuskeln zu bringen. Gerade bei viel PC Arbeit: http://blog.tina-knape.de/2019/04/28/augenuebungen-fuers-buero/. Wann und wo wir Raum haben, der Mimik freien Lauf zu lassen, bleibt hingegen individuell.
Mein neues Training wird nun sein, wachsam zu bleiben, wann ich “geschützt” hinter einem Mund-Nasenschutz bin und wann mein Gesicht noch vielschichtiger eine Sichtweise verkündet, wenn ich im Cafe Straßenszenen beobachte. So definiert sich “Schutz durch Gesichtsmaske” auch und behält ein mehrschichtiges Für und Wider. 😉
Liebe Tina, das Verdecken, Verbergen und Verschleiern von Teilen des Gesichts ist für unseren Kulturkreis und viele Individuen neuartig. Veränderungen Regen zum Nachdenken an – das ist toll, oder? Hier also “my two cents” zum Thema: Vielleicht bietet Corona ja die Chance für einen neuen Dialog mit Nikap- oder Burka-Trägerinnen. Immerhin haben diese vermutlich etwas mehr Erfahrung mit dem Thema.
Vielen Dank für den netten Gedanken!