
Immer, wenn die Frau Migräne hat, macht der Mann das Frühstück für die Kinder und hilft im Haushalt mit.
Wenn das Kind diffuse Bauchschmerzen hat, kann es nicht zur Schule gehen, hat stattdessen Extrazeit mit Mama zuhaus und muss die Klassenarbeit nicht mitschreiben. Die Klassenarbeit kann es zu einer späteren Zeit nachholen und der Druck fühlt sich weniger hoch an.
Wenn nach einem schweren Arbeitsunfall ein Mittfünfziger für einige Monate nicht mehr im Straßengraben bei Wind und Wetter stehen kann, sondern stattdessen die Zeit in der ambulanten Reha verbringt, entsteht ein neues Körpergefühl — wie wenig ausgepowert und erschöpft der eigene Körper sich anfühlen kann.
Wenn die regelmäßigen Termine bei der Ärztin und beim Physiotherapeuten für den Patienten auch eine Struktur im Alltag bieten und Zuwendung von Außenstehenden darstellt, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie es wieder ohne Anwendungen wäre.
Wenn der junge Mann weiterhin mit der Gehstütze unterwegs ist, obwohl er sie für die Einschränkungen im Bein gar nicht mehr benötigt, nehmen Mitmenschen mehr Rücksicht auf ihn und er fühlt weniger Sorge, dass ihn jemand umrennt.
Dies sind Beispiele, wie sich ein Krankheitsgewinn auf unterschiedliche Weise einschleichen kann und als ein Aspekt des Krankseins und des sich dadurch verzögernden Heilens mit zu berücksichtigen ist.
Der Krankheitsgewinn birgt ab einem gewissen Punkt gesellschaftliche Vorteile, die die Erkrankung mit sich bringt. Mitgefühl und Aufmerksamkeit werden Teil des Alltagerlebens. Somit kann es zu (un-)bewussten Tendenzen kommen, die Heilung zu verschleppen.
Aus Sicht des medizinischen Personals ist ebenso zu berücksichtigen: Auch die pflegerische und therapeutische Seite kann einen Benefit aus einem längeren Krankheitsverlauf erzielen. https://blog.tina-knape.de/2016/11/15/fachbeitrag-der-zyklus-einer-patienten-therapeuten-beziehung/
Sich über diese Prozesse des Krankheitgewinns auch bewusst zu werden, ist ein weiterer Aspekt, Wahrnehmung für sich zu entwickeln. Beispielsweise: Wann ist eine Therapie- Pause auch ein kreativer Heilungsimpuls? Hat sich die Therapie zu einer Monotonie entwickelt, die eher einen sozialen, als einen therapeutischen Zugewinn mit sich bringt? Wie gesund darf und will ich wieder werden? Wie fühlt sich das an, nach dem vollständigen Auskurieren wieder in den womöglich unliebsamen Job zurückzukehren? Ist es möglich, noch klare Therapie-Ziele zu definieren?
Es handelt sich um ein sensibles Thema. In keinster Weise soll es Zuwendung zur Heilungsunterstützung absprechen. Ein bewusster Umgang jedoch mit dem Krankheitsgewinns ist empfehlenswert.
Gute Besserung!
Wunderbar liebe Tina!
Danke dafür! 👍🏻