Schon lange beschäftigt mich ein Thema, welches noch immer nicht so leicht in Worte zu fassen ist. Es geht darum, “einen Rahmen zu haben” und Dingen “Raum zu geben”.
Rollen wir es einmal andersherum auf. Eine Tasse wird getragen von einer Untertasse. Und die Untertasse bekommt Halt und einen größeren Rahmen von einem Tisch. Klein, Mittel, Groß.
Eine Espresso-Tasse auf einem Tisch eines Cafes wirkt verloren; die Proportionen passen nicht zusammen. Eine Untertasse bietet Halt und Übergang für das Ensemble Tasse- Untertasse- Tisch. Das Kleinere wird gehalten vom Nächstgrößeren, das stabil auf dem wiederum Größeren steht.
So ähnlich ist es mit unserem Geist und dem Raum zum Expandieren. Wenn Mensch A Sorgen trägt und sich damit in der Tiefe mehr auseinandersetzen möchte, trifft er im besten Fall nicht nur auf eine weitere Tasse, sondern auf jemanden, der quasi als Untertasse dient, also eine Verbindung herstellt und das sich Öffnen und darin Weiten ermöglicht. Mit mehr Raum drumherum wird es leichter, Teile von sich selbst sehen zu können.
Ein Beispiel: Jemand hat sich am Bein verletzt. Wenn er sich mit jemandem unterhält, der sich ebenfalls einmal am Bein verletzt hat, ist das hilfreich, doch noch nicht die Lösung. Um Anderes dazuzulernen, braucht es jetzt ein Stück weit Neuland. Geht der Verletzte nun zu einem Therapeuten (Untertasse), der sich mit Verletzungen des Körpers auskennt, erfährt er mehr. Hinzugewonnenes Wissen ist vielleicht, damit “anders” umzugehen, neue Übungen, andere Blickwinkel http://blog.tina-knape.de/2020/07/09/blickwinkel-als-helfer/, beachtenswerte Punkte in der Gangschule kennenzulernen. http://blog.tina-knape.de/2020/01/24/gangschule-was-ist-das/
Spinnen wir dieses Bild weiter. Nun verletzt sich der Therapeut selbst am Bein und hat zusätzlich noch Sorgen und Existenzängste, weil er sich fragt, ob er je wieder stabil als Therapeut arbeiten kann. Er geht selbst zu einem Kollegen (ebenso Untertasse) und lernt nicht viel Neues dazu, weil er ihm vor allem bei der Auswahl der Behandlung und der Übungen behilflich sein kann, aber nichts wirklich Neues für seine emotionalen Bedürfnisse bietet. Als nächste Entwicklungsstufe fährt er zu einer Fortbildung und trifft auf eine Dozentin, die Körper und Geist verbindet und einen größer gespannten Rahmen anbieten kann. Dort kann er sich ausweiten, weil er diese neue Sicht so noch nicht kannte. (Tisch)
Von Tasse zu Untertasse zu Tisch zu Drumherum. Der Raum inkludiert, aber schließt nicht aus. Der Blickwinkel spielt eine genauso große Rolle wie die Möglichkeit, auf etwas für den nötigen Entwicklungsschub zu treffen und dann wiederum in den weiter gesteckten neuen Rahmen hineinzuwachsen und sich auszudehnen. http://blog.tina-knape.de/2019/04/13/inspiration-do-you-dare-to-dream/
Es ist komplex, lohnt sich jedoch zu durchdenken. Es ist kein Werten, wie es manchmal leichtsinnig interpretiert wird. Eine Tasse hat eine kleinere Unterstützungsfläche als eine Untertasse – als wiederum der Tisch. So hat ein 2-Jähriger (noch) nicht die gleichen sprachlichen und motorischen Entwicklungsschritte durchlaufen wie ein 10-Jähriger. Darin liegt keine Wertung, sondern ein Vergleich.
Je nachdem, wo Patienten gerade stehen (inkl. Lebens- und Therapieerfahrung) erklärt sich dank dieser Sichtweise, warum es nicht immer matcht zwischen Therapeuten und Patienten — ist die Patientin schon eine Untertasse und der Therapeut (noch) eine Tasse? Oder ist er bereits ein Tisch für die Patientin?
Vielleicht findet jemand ein anderes wunderbares Beispiel, um dieses Bild von Rahmen und Raum und Untertassen und Tassen zu symbolisieren. Ich freue mich auf Anregungen und andere Sichtweisen und Modelle.
Mögen wir immer wieder auf Menschen treffen, die uns den nächst größeren Rahmen anbieten können zum Wachsen und Gedeihen.