Impfung. Dieses Wort steht für heikle, polarisierende und bisweilen skeptische Äußerungen. Ich kenne kaum ein weiteres Thema unter Fachkolleg*innen sowie frisch gebackenen Eltern, dass so schnell zu hochroten Köpfen oder frostigen Lagern führt.
Ähnlich intensiv ist dieses Thema behaftet, seitdem der Rettung versprechende Hoffnungsträger “Impfung gegen Corona” auf der Tagesordnung steht und neben älteren Menschen insbesondere medizinisches Personal geimpft werden kann. Und es bleibt mittlerweile nicht bei einem KANN. Vielmehr geht es nach noch nicht einmal einem Monat “Impfstoff on tour” bereits um ein SOLLTE.
Zwei Patienten an einem Tag haben bei mir nachgefragt: “Sie lassen sich doch schon impfen, oder?” Schon die Fragestellung bietet wenig Raum. Sie mutet genauso klebrig an, wie die Frage eines Vorbeigehenden: Alles super, oder?… ganz egal, wie man aussieht, in welchem Zustand man sich gerade befindet oder wie man wohl auf den anderen wirkt. Bei dieser Frageform wird eine Erwartungshaltung transportiert, ohne Platz für die Sicht des anderen und sein persönliches Abwägen des Für und Wider.
Ich fand die Formulierung meiner Kollegin treffend, die sagte, dass es etwas “sehr persönliches” ist, wie man zum Thema Impfen steht und wie man sich entscheidet. Vielleicht ist es tatsächlich kein Thema, das man mit Patienten besprechen möchte. Ich rede mit ihnen ja auch nicht darüber, wie ich verhüte oder ob ich ein Tattoo habe. Ja, mein Körper, meine Entscheidung. Egal, ob Ja oder Nein zur Injektion. Gleichzeitig wird diese Entscheidung tendenziell eher wertend publik gemacht, wenn seriöse Zeitungen mit Schlagzeilen wie “nur 50% vom medizinischen Personal lassen sich impfen” aufwarten. Warum “nur”?
Die Polarität zu diesem Thema ist gerade sehr stark. Es gibt scheinbar nur die Schwarz-Weiß- Option. Man ist ein totaler DAFÜR oder DAGEGEN- Typ. Dass es auch hier eine Mitte und eine Farbpalette gibt (und seien es nur Grautöne) und ein Abwägen und ein eigenes Entscheiden möglich sein sollte, fehlt mir. Gesellschaftlich baut sich eine Erwartungshaltung auf, die unangemessen da privat ist.
Tauschen Sie sich mit anderen aus, wie Ihr Impf(un)wille ist? Wie gehen Sie mit einer andersartigen Meinung um? Akzeptieren Sie ein Ja und Nein gleichermaßen, egal, ob es die gleiche Meinung oder die Konträre zu Ihrer ist? Haben Leute im medizinischen Bereich eine andere Pflicht, als Leute im Homeoffice? Finden Sie, jeder sollte offen damit umgehen, ob er geimpft ist oder nicht? Wo hört die öffentliche Meinung auf — und wo fängt Privatsphäre an?
Zwischen Hardcore-Befürwörtern und querdenkenden Gegnern gibt es auch noch Menschen, die vielleicht stiller sind oder ein Stück des Weges mitschwimmen, ohne auf der einen oder anderen Seite Radau zu machen. Beachtenswerte Mitte! Lassen wir denen im besten Fall gerade in Zeiten wie diesen auch Raum!
Sehr guter und wichtiger Text.
Wie bei vielem im Leben ist es wichtig auch Entscheidungen und Meinungen zu akzeptieren ohne zu belehren oder den Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu vertreten.
Dennoch, was mich bei dem konkreten Fall umtreibt ist die Rücksichtnahme innerhalb der Gesellschaft. Wie wichtig ist es durch unsere Entscheidungen andere zu schützen, die darauf angewiesen sind. In dem Fall z.B. Immunkomprimimittierte, Schwangere, Stillende, Kinder…die die Impfentscheidung nicht selbst treffen können.
Natürlich muss auch diese Einschätzung jeder für sich selbst vornehmen. Aber dann auch “ertragen”, dass es zu (hoffentlich respektvollen) Konflikten kommen mag.