Der Spätsommer beginnt und der Herbst schleicht gelegentlich am Abend oder Morgen schon durch die Hintertür. Der Duft verändert sich, es wird früher dunkel, erste Blätter fallen.
Meine Lehrerin des Herzens hat mir vor Jahren einen lösenden Schlüsselsatz zu dieser Jahreszeit mit auf den Weg gegeben: Ich solle mehr Herbst in mir zulassen. Seitdem ist es für mich eine besondere Zeit geworden. Ich gehe bewusster nach innen, lasse Ruhe und Einkehr zu und gebe Abschied mehr Raum.
Mit dem schnelleren abendlichen Dunkelwerden, den kühleren Nächten und taufrischen Morgen sowie der bunten, großen Ernte in der Natur entsteht eine andere Dankbarkeit, diese Jahreszeit als solche anzunehmen und als genauso essentiell zu betrachten wie das Sprießen im Frühling.
Letztes Jahr habe ich dazu folgenden Blogpost geschrieben: http://blog.tina-knape.de/2019/09/20/nicht-verpassen-ernten/
Der Herbst bietet nun Gelegenheit, wieder Ruhe zu finden und die inneren und äußeren Welten miteinander abzustimmen. Dieses Jahr ist, mit all dem Aufwühlenden und Verwirrenden der Corona-Zeit, insbesondere Grund genug geboten, das Durchatmen und Ernten nicht zu verpassen.
Haben Sie sich schon mal eine Kastanie genau angeschaut? Nehmen Sie mal eine in die Hand! Gerade fallen sie vielerorts wieder von den Biergarten-Bäumen. Super stacheliges Außen — und innen eine glatte, wunderschöne Frucht. Wenn sie reif ist, löst sie sich vom Ast. Gut verpackt landet der geschützte Kern, um erst auf dem Boden aufzubrechen und offenbart das, was sie weiterzugeben hat. Lauter gereifte Fähigkeiten.
Herbst sehen, Herbst fühlen, Herbst riechen, Herbst sein. Nun zeigt sich die Ernte dank all des Einsatzes der Saison. (Die Natur lässt sich beruhigenderweise in ihren Abläufen nicht sonderlich von Corona beeindrucken.) Dabei kommen trotz zum Teil sperriger “Verpackung” häufig wunderbare Früchte zutage. Einkehr und innere Kräfte sammeln für die kältere und dunklere Jahreszeit ist empfehlenswert, um gut durch den Winter zu kommen. Ein Hauch Melancholie macht sich breit, doch mit dem Aufleuchten der Herbstfarben und der bunten Kürbisse, Pflaumen und Co zeigt die Natur ihre Strahlkraft nochmal aus ihrer vollen Farbpalette.
Diese Kraft lässt sich auch auf die Therapie oder das Leben im Allgemeinen übertragen. Denn während des fleißigen Arbeitens und Trainierens und dem Ziel des “Verbessern wollens” ist es wichtig, Pausen, Raum, Einkehr und Ruhe zuzulassen. Das schafft die Rahmenbedingungen, um die Ernte wahrnehmen zu können. Manchmal sind es kleine Schritte, wodurch sich ein Symptom oder ein Gangbild verändern. Manchmal ist es noch eine stachelige, pieksende Ummantelung, während innendrin ein gesunder Kern heranreift, bis die Schale abplatzen kann, wenn die Zeit gekommen ist.
So wünsche ich uns einen beachtenswerten, entdeckungsreichen Genuss-Herbst im Innen und Außen.