Dehnen macht Spaß

Im Laufe meiner Physio- Arbeits- Jahre gab es aufgrund von neu gelernten Techniken oder bestimmten Lebensphasen immer wieder ein Stück weit andere Themenbereiche, die meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Und doch gibt es Basiswissen, was immer zeitgemäß ist. Das hier gehört dazu.

Ein Thema, was mir vor allem auch im Feierabend immer wieder begegnet, weil ich nicht genug weggucken kann, ist DEHNEN.


Schon zu Hamburger Zeiten, beim abendlichen Feierabendwein mit Freunden an der Alster, schien es unmöglich, nicht Menschen beim Dehnen zu beobachten. An den ausblickreichsten Stellen auf Brücken und nah an der Alsterperle stehen Freizeit- und richtige Sportler und versuchen auf zum Teil abstruse Art und Weise Muskeln auf Länge zu bringen… und dabei auch noch gut auszusehen. Das WIE ist dabei ja bekanntlich nicht unerheblich.

Das fehlende Wissen für die richtige Ausführung ist dagegen riesengroß. Manch Begleitung von mir musste sich ein: “Oh mein Gott, was genau will sie/er denn da dehnen?” anhören.

Dehnen generell hat ja zusätzlich eh nicht so ein leichtes Image. Es ist so Muss-behaftet, derweil hat es wirklich eine wichtige Daseinsberechtigung. Ein paar gezielte Argumente findet Sie hier:


Dehnen sorgt für einen guten Stoffwechsel und eine bessere Durchblutung.

Dehnen kann man lernen.
Dehnen ist die Vervollkommnung eines effizienten Trainings und sinnvolle Unterstützung für die Muskulatur.
Mit Dehnen fühlt man sich jünger und vitaler.


Dehnen findet grundsätzlich erstmal nur in Muskeln statt-
Und zwar, indem man Ansatz und Ursprung auf Länge bringt und voneinander entfernt. Bei Muskelaktivität passiert genau das Gegenteil: Ansatz und Ursprung des Muskels kommen sich näher.
(Es ist möglich (und manchmal nötig), auch Nerven auf Länge zu bringen. Das nennt man dann aber Mobilisieren, weil es (noch) sanfter ist.)

Dehnen sollte freundlich ausgeführt werden.
Dehnen sorgt für ein besseres Körpergefühl und verbesserte Selektivität.
Dehnen hilft, generell eine deutlichere Wahrnehmung von Anspannen und Entspannen zu haben.

Dehnen schafft Bewusstsein.
Dehnen bringt Raum zurück, der durch viel Kontraktion und Grundspannung zu dicht geworden ist.
Spüriges Dehnen ist gesund.


Dehnen gehört nach sportlicher Aktivität im besten Fall einfach dazu, so wie Sie (selbst nachts um 3 Uhr) noch Zähne putzen vor dem Zubettgehen.
Dehnen schützt vor Muskelverletzungen.

Dehnen lindert einen intensiven morgigen Muskelkater nach sportlicher Aktivität heute.

Die Art und Weise und das wirklich gut umgesetzte WIE macht man am besten tatsächlich praktisch unter den wachsamen Augen eines guten Physios oder Trainers. Ob es dabei gezielt und isoliert um die Muskulatur geht- oder in ganzen funktionellen Muskelketten wie z.B. beim Yoga oder Kampfsport eine größere Beweglichkeit gewünscht ist, ist nicht entscheidend. Ein guter “Begleiter” in diesem Feld gibt geeignete Wahrnehmungstipps, dass die Dehnung da ankommt, wo sie ankommen soll.


Grundsätzlich gilt: Funktionelles Dehnen in einem muskulären Kontext (so wie er tendenziell auch in der Anspannung benutzt wird) ist immer effizienter als rein strukturell. Das heißt: Beinmuskeln am besten auch im Sitzen oder Stehen dehnen, weil so benutzen wir sie beim Laufen und Co ja auch. In Rückenlage mit Bein in der Luft und wilden Handtuchverrenkungen ist es eher eine strukturelle Herangehensweise und reduziert die Effizienz.

Es ist sinnvoll, sich vorher zu überlegen (und zu spüren):

Welche Muskeln habe ich beim Sport vor allem benutzt?

Wo wohnt jeder einzelne davon? Den genauen Ansatz und Ursprung kann man sogar mittlerweile leicht googeln (dafür braucht man kein fettes Anatomiebuch mehr), um zu wissen, wo er liegt und wie er aussieht- das hilft auch gleichermaßen bei einem 3D-Gespür 😉 . DORT sollte es dann bei der Dehnung auch ankommen und leicht ziehen. Nicht einfach irgendwo. Sondern da, wo man auch dehnen möchte.

Wenn man jemanden Konkreten besuchen möchte, klingelt man ja auch nicht irgendwo auf seiner Straße und lässt sich stattdessen dort zu Kaffee und Kuchen einladen.


Kleines praktisches Beispiel: Wir haben in jeder Wade zwei Wadenmuskeln. Sie wohnen so eine Art übereinander.

Einer heisst Musculus gastrocnemius, der andere Musculus soleus.

Der Gastrocnemius zieht über das Sprunggelenk UND das Kniegelenk- ist somit zweigelenkig. Deswegen braucht es bei der Dehnung ein gebeugtes Sprunggelenk und ein gestrecktes Knie. Der Soleus liegt wie eine Scholle unter dem Gastrocnemius und ist nur eingelenkig- er sieht nicht über das Knie. Also erreicht man den Soleus gut, wenn man bei der Dehnung des Gastrcnemius ein bisschen das Knie beugt, nur einen Zentimeter. Entriegeln. Der eingelenkige Wadenmuskel Soleus liegt darunter und bekommt somit mehr Zug, weil der Gastrocnemius wie ausgeschalten ist. Das fühlt sich dann auch ein bisschen tieferliegend in der Wade an, wenn man so differenziert die Region dehnt.

Die gleiche Ausgangsstellung für zwei Wadendehnungen- und mit nur einem kleinen Detail verändert und mit Aufmerksamkeit darauf anders ausgeführt (leicht gebeugtes Knie), erreicht man einen anderen Muskel ganz gezielt. Keine Zauberei. Das ist Basiswissen.


Also zusammenfassend:

Vor dem Sport die Muskulatur ein bisschen warm machen (bewegen ohne zu viel Belastung) und höchstens “anstretchen”-

dann Sport ausführen-

und danach unter der Dusche oder noch auf der Ausblick-Parkbank am Ende der z.B. Laufrunde gezielt die beanspruchten Muskeln dehnen (also wieder auf Länge bringen). Dahin denken und einen lösenden Effekt spüren. Am besten ist es, den Muskel selbst wie innerlich zu besuchen und das Wieder-lang-werden wahrzunehmen. Das sieht dann auch von Außen gut aus, für Physio-Augen und andere.


Dehnen macht somit auch schön.

Und Dehnen ist auch deswegen so viel mehr. Inneres Ankommen ist garantiert.

So macht Dehnen Spaß.

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