Uruguay ist sexy/ Wenn ich ein Fisch wäre…

Mittlerweile bin ich wieder gewohntermaßen auf festen Boden. Ich gehe im Moment jeden Vormittag zur Spanischschule in Montevideo, lerne irregulare Verben und neue Begriffe, rede dadurch ein bisschen mehr mit ausgewählten Worten und weniger mit Händen und Füßen, esse lecker Mittagessen in einen dieser liebevollen kleinen Restaurants in der Altstadt, plaudere mit internationalen Leuten (die meisten in meiner Schule haben schon von Hause aus in ihrem Blut einen interessanten Mix von mindestens zwei Nationen), erledige Hausaufgaben im Cafe, trinke mal wieder Tee und erfreue mich an der Zugewandtheit der Menschen hier untereinander. Irgendwie ist Uruguay ein Land, in dem es eine Freude ist, zu kommunizieren und Beckenenergie zu haben.
Uruguay ist sexy.
Ein Gespräch mit jemanden Unbekannten geht schnell und leicht, ist interessant und respektvoll. Die Quote der freundlichen Tischnachbarn, die ich bei Fragen wie: “el o la” hinzuziehen kann und ausführliche Antworten erhalte, ist groß.

Ich bin wirklich entzückt von Uruguay! Aufgrund dessen, dass es als Land so klein ist, mit nicht mal vier Millionen Einwohnern besiedelt (und fünfmal so vielen Kühen), gibt es eine internationale Offenheit, die sich auch sprachlich niederschlägt. Des Abends in einer Bar ergab sich, dass ich plötzlich deutsch mit drei netten Uruguayern meines Alters sprechen konnte. Sie waren hier zwölf Jahre auf einer deutschen Schule, während dieser Zeit sogar zum Schüleraustausch in Bielefeld (wow, das ist Deutschland ;)) und konnten noch immer fließend deutsch reden, englisch sowieso. Super Gelegenheit, meinen kulinarischen Joker zu ziehen: Von der Zeit auf dem Schiff hatte ich noch original deutsches Marzipan in der Weihnachtsgeschenketüte. Das war die Chance, das nun meinen neuen “Amigos” zum Geschenk zu machen und dabei dankbare, leuchtende Augen zu ernten.
Sie waren auch wunderbare Gesprächspartner, um mir ein bisschen mehr von der Ökonomie und aktuellen Situation des Landes zu erzählen. Hier gibts zum Beispiel eine Wahlpflicht für Jedermann. Wer nicht teilnimmt, muss zahlen. Es ist auch das einzige (?!) Land in Südamerika, was die Homoehe zulässt und keinen strengen Katholizismus praktiziert (Abtreibung ist legitim…). Marihuana ist legal. Getrunken und getanzt wird gern auch mal die Woche über bis 4 Uhr. Nun gut, normalerweise geht man auch erst gegen 22 Uhr zum Abendessen, da verschiebt sich eben alles ein bisschen nach hinten.

Auch Montevideo als Stadt hat Charme. Es gibt viel Kultur, morbide alte Gebäude, dazwischen immer wieder wunderschön restaurierte Häuser, alt und neu, antik und modern sind wild zusammengewürfelt und vertragen sich auf ihre Art aber trotzdem miteinander. Es ist mir nicht so recht möglich, Fotos zu machen, die diesen Zauber der Mischung einfangen. Wie auch schon an anderen Stellen meiner Reise kann ich auch hier nur empfehlen, einmal die Straßen selbst entlangzuwandeln und “reinzuspüren”, was das Ansprechende daran ist.

Und so saß ich an einen meiner ersten warmen Sommerabende hier an der Rambla, der Uferpromenade der Stadt. Abends ist es ein Ort zum Freunde treffen, Mate trinken, angeln, Sonnenuntergang gucken, flirten, joggen… und eben “auf’s Wasser gucken”.
Doch: braunes Wasser! Okay, einerseits bin ich verwöhnt von meiner Zeit an Bord auf den Weltmeeren, andererseits ist es nicht so richtig der Atlantik, sondern der Rio de la Plata. Aber als ich so im Abendlicht auf die “Brühe” guckte, hat es mich zu ganz seltsamen Gedankengängen angeregt.
Es wirkt, als wären es die gleichen Wellenbewegungen, die auch der Anblick von meinem schwimmenden Zuhauses für vier Wochen gewesen sind. Mit Blick Richtung Horizont kann ich etwas “Blaues” wiederfinden, was mir vertraut ist. Doch so richtig nah vor mir, so direkt ins Wasser guckend… was für eine braune wabernde Masse. Das hat nichts nichts nichts damit zu tun, was ich nun weiß, wie blau und wunderschön und klar und mit weiter Sicht es auch sein kann. Hier wirkt es wie braune Suppe und zusätzlich, als versucht jemand, elegant einen blauen Seidenschal darüber zu legen (der Himmel versucht wirklich sein bestes). Der Wind spielt genauso mit der Oberfläche. Bis auf die Farbe siehts vergleichbar aus.

Und auch hier wohnen Fische. Doch warum? Warum schwimmen sie nicht raus und genießen das klare Wasser? Warum hängen sie in dieser braunen, unklaren, aufgewühlten Wassersuppe rum und nehmen nicht den Weg- und doch immernoch in ihrem Element- auf sich, dieses Ufergebiet zu verlassen und Neues zu sehen, zu entdecken, zu genießen und festzustellen, wie wunderschön und klar es da draußen ist? Fische haben doch keinen Job, der sie hält. Kein Haus, was nur hier steht.
Hinzu kommt- sie leben hier am Rand viel gefährlicher. Ungelogen hängt hier jede/r Uruguayer/in jedes Alters in seiner Freizeit die Angelrute ins Meer und wartet, bis was zappelt, während er seinen Mate-Tee schlürft.
Was hält die mobilen Tierchen? Wissen sie nicht, dass es eine andere Qualität des gleichen Lebensraumes gibt? Bemerken sie nicht, dass immer wieder mal einer von ihnen in der undurchsichtigen Masse verschwindet- und dass es heller und schöner wird, wenn man seinen Radius erweitert und vom Ufer wegschwimmt?

Wenn ich ein Fisch wäre…
(und was ich wohl sagen will…)
Es lohnt sich rauszuschwimmen. Am Anfang ist es komisch, ungewohnt, seltsam- so klares Wasser überall. Brühe ist eben manchmal doch vertrauter, denn plötzlich sieht man so viel. Es schmeckt anders, man kann sich anders darin bewegen, spürt sich selbst deutlicher. Außerhalb der Komfortzone ist es neu, doch auch weiter, mehr Raum, Frische. (Und ich liebe das youtube-Video dazu, meine liebste Empfehlung: “Do you dare to dream?”)

Mein “gewohntes Ufer verlassen” hat sich für mich gelohnt, soviel ist klar.
Jetzt stellen sich mir neue Fragen: Mit dem Wissen um das klare Wasser, kann man dann zurückkehren ins braune wabernde Ufergebiet? Kann man den anderen Fischen davon erzählen, um damit vielleicht auch sie zu ermutigen? Reicht das Wissen darum, dass es da draußen klare, gute Sicht gibt, um irgendwo zu bleiben? Wann ist es Zeit, neue Gebiete zu erobern? Gibt es einen Ort, innen oder außen, der frisches, klares Wasser und Weitsicht mit Ufernähe vereint? Wühlt es wohl auf, den Fischen hier in der Brühe am Rand davon zu erzählen, was es da draußen auch noch gibt?

Mh, Zeit für Antworten habe ich diese Woche erstmal nicht im Überfluss, weil ich “noch Hausaufgaben machen muss”. Wann genau benutzt man jetzt nun nochmal “por” oder “para”? Und “porque” heißt auf Spanisch “Warum” und “weil”.
Vielleicht frag ich mal den nächsten Tischnachbarn, porque die Fische hier im Rio wohnen… und vielleicht hat sie/er ja eine Idee?!

8 Kommentare zu “Uruguay ist sexy/ Wenn ich ein Fisch wäre…

  1. Britta Seume-Zine

    Liebe Tina, da krieg ich sofort Lust auf Uruguay, ist eh mein Kontinent…. Südamerika. Was mag die Fische im trüben Wasser halten? Vlt die Sicherheit, sich verstecken zu können und das sichere Nahrungsangebot, vlt aber auch die Angst vor zuviel Neuem und Überwältigendem was da draußen im klaren Wasser wartet. Der Fisch müsste sich auf Lernen einlassen. Uff, nicht jeder Fischs Art??? Liebe Grüße
    Britta

  2. Dolores

    Jetzt will ich auch unbedingt nach Uruguay! Und das you tube video ist toll aber nicht so toll wie dein Blog♥️

  3. Vanessa Jebens

    Hi Tina,
    wie schön, dass es dir so gut geht.
    Meine Freundin Lisa aus Canada ist jetzt mit ihrer Familie in Argentinien. Kommst du da auch noch hin?
    Weiterhin frohes Spanischlernen. Eine tolle Sprache.

    Love,
    Vanessa

  4. Falk

    Liebe Tina, (es fällt mir schwer dich nicht Tammi zu nennen) aber irgendwie bist du ja jetzt die Tina auf Reisen und das ist wunderschön ein Teil davon sein zu dürfen! Auch wenn anfangs mein Gefühl immer etwas von Neid begleitet war, kann ich mich total entspannen und genießen. Weil du die Erlebnisse und Erfahrungen teilst, weil du dich teilst und nicht nur einen Reisebericht schreibst sondern Einblick in deine Prozesse und Empfindungen gewährst, habe ich die Möglichkeit auch ein Teil davon zu sein. Und dann bleibt plötzlich gar kein Raum mehr für Neid hier im grauen Berlin, sondern nur noch Mitfreude, Dankbarkeit, Inspiration und Verbundenheit. Danke und auch Kompliment für deinen “professionellen” Reisebericht! Alles liebe, mögen dich noch viele Erkenntnisse und Begegnungen bereichern, und beflügeln weiter zu schreiben. Emaho, Falk von der Spree 😉

  5. Helma

    Liebe Tina,
    habe heute den Zugang zu Deinem Blog erhalten und Deine Beiträge immer und immer wieder gelesen.
    Ich bin beeindruckt von Deiner sprachlichen Begabung, die Intensität des Erlebten ist zu spüren und das, was mit Dir “passiert”, ebenso.
    Liebe Grüße und sei weiter behütet auf Deiner Reise!!!
    Helma

  6. Rainer Schmidt

    HalloFrau Gärtner,

    …puh, das war toll. Diese Zelen bringen mich wieder ein Stück weiter, danke. Auf meinem Weg nach Phuket nehme ich es mit. So bekomme ich selbst auf diese Entfernung noch input.

    Liebe Grüße

    Rainer Schmidt

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