Heute an meinem zweiten Tag in Montevideo habe ich einen ersten “Bekannten” wiedergetroffen. Der Restaurantbesitzer Martin Lavecchia, bei dem ich gestern mein erstes paradiesisches Menu im benachbarten Stadtteil gegessen habe, kam gerade zufällig an meinem Frühstückscafe vorbei und hat sich auf einen schnellen Kaffee dazugesetzt. Das zeigt mir gleich mehrere Dinge: *Ich brauche definitiv mehr spanischen Wortschatz, um mich besser unterhalten zu können. *Ich komme langsam an zwischen all den neuen Menschen. *Montevideo ist eine großartige Stadt, um mich wieder einzugliedern ins “Landleben”- und die Uruguayer sind bei den bisherigen Begegnungen wirklich gastfreundliche, herzliche Leute. *I am just in the flow.
Am Ankunftstag an Land stand ich abends mit Tränen in den Augen an der Pier, an der sich gewöhnlicherweise Freizeitangler tummeln und ich frisch angereist, mittendrin. Ich konnte es kaum glauben, dass dieses riesige, auslaufende Schiff CMA CGM Hugo, was mir aus der “drauf-guck-Perspektive” fremd war, DAS Schiff ist, was mich über die Ozeane gebracht hat. Es war irgendwie etwas Unfassbares, dass mein schwimmendes, mich sicher verwahrendes Zuhause der letzten vier Wochen, nun einfach ohne mich losfuhr. Als das Tönen des Nebelhorns erklang und ich das Schwenken der deutschen Fahne aus der Nock an der Brücke sah, kam ich mir das erste Mal wirklich in der Fremde vor. Der Kapitän winkte von da oben, einem mir nun vertrauten Ort, an dem wir abends manchmal zusammen zum Sonnenuntergang noch ein Budweiser getrunken haben. Und ich hingegen stand am Ufer: Die kleine Tina aus der Oberlausitz, allein zurückgelassen auf einem anderen Kontinent. Innerlich war das vielleicht der größere Abschied, als vor drei Monaten zwischen all den anderen Deutschen im Flieger zu sitzen, noch einmal auf Hamburg zu gucken und gen Nepal zu fliegen.
Dieser Moment auf der Pier wird sicher eine eindrucksvolle Erinnerung in meinem Leben bleiben. Während mir die Tränen kullerten, waren da so verschiedene Emotionen zur gleichen Zeit. Staunen und Dankbarkeit, sicher an meinen vor Monaten bestimmten Zielhafen Montevideo angekommen zu sein. Traurigkeit, nun wirklich kein Blau und keinen sanften Wellentanz mehr um mich zu haben- nach der so friedvollen Begegnung mit mir selbst an Bord. Freude, die nächste Etappe meiner Reise erreicht zu haben. Bedauern, meine “Kameraden” auf dem Schiff, in der Konstellation so nie wieder zu sehen. Unwissenheit, was meine nächsten Schritte hier an Land sein werden. Auch Erleichterung über eine zurückgewonnene Freiheit, eine Selbstbestimmtheit, die mir hier wieder gegeben ist, mit allem Für und Wider. (Ich habe mich in dem Moment gefragt, ob Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, wohl auch weinen, weil sie eine Zeit hinter sich lassen, die ihnen auch Schutz, Alltag und Halt geboten hat?! Es ist somit auch ein von der Gewohnheit verabschieden, egal, wie man sie letztlich empfindet.)
Ich empfinde tiefes Erstaunen, nun wirklich nach all der irgendwie zeitlosen Zeit an Bord mit der kontinuierlichen Reisegeschwindigkeit von 18 Knoten auf einem ganz anderen Kontinent angekommen zu sein. Es war für mich beim Einlaufen im ersten Hafen in Santos, Brasilien, total seltsam, nun tatsächlich in Südamerika zu sein. Wir haben drei Wochen nie Land gesehen. Der Atlantik war vielleicht ein bisschen blauer als der indische Ozean. Tropisch warm war es gefühlt die ganze Zeit. Es wäre für mich nicht verwunderlich gewesen, wenn wir nach der Zeit in all dem Blau einfach wieder in Singapur angekommen wären. Doch nun ist hier ein anderes Land, andere Stimmung, anderes Flair, andere Bauten, anderer Charme. Keine Frau trägt mehr eine Burka oder andere Verhüllungen, sondern im Gegenteil tanzen sie sexy in Highheels und Hotpants auf den Straßen beim Karneval. Die Männer sind europäisch aussehend, zuvorkommend, Mate trinkend, den Frauen komplimentereich zugewandt. Hier wird generell bei jeder Begrüßung viel umarmt und geküsst. Die Luft ist sommerwarm, doch trocken dabei. Ja, es ist wohl wirklich ein anderer Kontinent!
(Und es gibt noch etwas beruhigendes zu berichten: Wenn ich die Augen schließe, sehe ich noch all die Wellen, den unvergleichlich puren Horizont, all die unterschiedlichen Blautöne. Und ich freue mich sehr, dass ich es so inhalieren konnte, dass ich nun hier vorort mich wieder dem städtischen Leben zuwenden kann. Wind und Wasser wohnen mit mehr Bewusstheit weiter in mir.)
Nach all dem Blau des Meeres umgibt mich jetzt das frische Grün der Bäume. Gestern lachten mich sogar Blüten auf meinem Lemonsorbet-Dessert im Restaurant von Martin an. Es ist ein warmes, freundliches Willkommen und Montevideo ist genau der richtige Ort, um langsam die Reisegeschwindigkeit an Land anzunehmen und neue Vorzüge des Lebens ohne Meer als Alltag wieder zu entdecken.
Viva la vida y la diferencia!
Jetzt habe ich auch Traenen in den Augen. Wo ich das hier in Nepal lese. Es sind salzig-suesse Gluecks-Traenen.