“normal” Erleben auf asiatisch

Nun auf der Reise sein- in Nepal, in Kathmandu.
Da gibt es kaum Worte zu beschreiben, wie es ist.

Asien- und als Beispiel auch diese Hauptstadt hier- ist ein Erlebnis. Und bestimmte Erlebnisse kann man nur nachempfinden, wenn man sie selbst durchlebt hat. So wie die große Liebe- und den ersten Liebeskummer.
Es ist ein Gesamterlebnis. Es gibt ein Ansprechen von Sinnen, von wirklich allen Sinnen, zur gleichen Zeit.
Der eine räuspert sich zum Spuken hinter der Mauer. Die Luft ist gefüllt von Abgas, aber auch Gewürzen und Weihrauch. Es gibt tausende kleine Shops mit gefühlt immer wieder den gleichen Sachen (und in mir taucht die Frage auf, wie diese denn jeweils alle davon leben können?!). Strassen verlaufen kreuz und quer, eng und schmal, breit und voll, wie ein Spinnennetz.
Die Augen sind geflutet von lauter kleinen Details, die sich knallbunt zwischen all den grau der Häuser auftürmen. Wunderschöne Gesichter von anmutigen Frauen, farbenfrohe Saris, die sie tragen, Kinder nah der Brust in Tücher eingewickelt.
Autos, Mopeds, Fahrräder, Fußgänger- alles zugleich auf überfüllten Gassen und Straßen- und trotzdem ist alles im Fluss und jeder nimmt den Anderen soviel wahr, dass es -vom Hupen untermalt- ein Miteinander ist, deren Regeln nur die Fahrer selbst wohl verstehen. Schlaglöcher beinestief, eine Fülle an Menschen, auf einer breiten Strasse mindestens 6 Fahrzeuge in alle Richtungen unterwegs- und doch gibt es ein System, was ermöglicht, dass keine Dramen sich ereignen.
Vielleicht ist es eine im Alltag integrierte und gelebte Achtsamkeit. Vielleicht ist es eine wunderbare Voraussetzung, das ohne “Verkehrsregeln” sowieso keiner Recht hat- und jeder somit auf den anderen acht gibt. Und es ist wahrlich nicht zu beschreiben, sondern eine Reise wert, nur mal für eine Stunde oder einen Tag in einer Stadt wie dieser ein so komplett anderes “Normal” zu erleben, dass es nie wieder in einem verschwindet.
Es schult Vertrauen: Eine andere Chance hat man in einem Taxi oder zu Fuß quer durch die Stadt auch nicht (und jedes Beispiel vor der Nase zeigt auf, dass es klappt).
Es veranlasst einen zum Schmunzeln: Man sieht, wie vollgepackt Mopeds sein können (und die Bilder dazu hat wohl jeder schonmal gesehen), dass man es vielleicht erst wirklich glauben kann, wenn man es mit eigenen Augen aufnimmt.
Es relativiert das eigene Wollen, den eigenen Lebensstandard, das eigene Zeitempfinden: spätestens hier im “traffic jam” ist jeder nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen.
Es zeigt auf, was Kreativität, Mut und Phantasie ist, wenn man sieht, wie ein Familienvater mit seiner Frau mit deren Säugling im Arm auf dem Moped eine vierte Spur eröffnet (oder den Bürgersteig, sofern es gerade einen gibt) und selbst mit dem Gegenverkehr eine unausgesprochene Übereinkunft des Fließens herrscht.
Es öffnet innere Türen, ein gelebtes “Nutzen von dem, was da ist” zu sehen, wenn Kinderhosen auf Zaunspitzen in der Sonne trocknen.

Es sind so viele kleine, versteckte, bizarre, wunderbare Details, die wohl das Erleben ausmachen, dass es in Beschreibungen dem eigentlichen Mittendrinsein nie standhalten kann.
Hinzu kommt, dass die Menschen hier in Nepal mit einer tiefen Freundlichkeit ausgestattet sind, das in ihrem Blick wirklich ein Willkommensein liegt.

Und ein ähnliches “Erleben” empfinde ich an den buddhistischen Stätten der Stadt. Es erreicht mich, berührt, bewegt, bringt mich innen in Gang,
so wie es manch Begegnung sonst vielleicht schafft- oder ein Buch, ein Lied, ein Gespräch- es ist nur noch universeller.
Es fühlt sich größer an als man selbst ist- und doch liegt eine Aufforderung an das Ausleben der eigenen Größe darin. Vielleicht ist das auch wie in der Liebe.

Und auch das lässt sich schwer in Worte packen- es ist ein “Fühlen” von Plätzen und nicht ein “Fotos machen”.
Es ist ein Kosten der Stimmung in einem Cafe, einer Stadt- und nicht ein “Ich bin auch schon mal da gewesen”.
Es ist ein Schwingen mit dem, was ist- und ein Einlassen.
Ich habe das Gefühl, es ist möglich zu sehen, ob Menschen die Stupa beim Umrunden fühlen können.
So erlebe ich es auch beim Behandeln, bei Körperkontakt. Es gibt die Möglichkeit, wirklich mit dem Gewebe zu verschmelzen. Warum dann nicht auch mit allem anderen um uns herum, was gerade unsere Aufmerksamkeit erhält?

So geht es für mich -auch dabei- um das WIE.
Und schon jetzt ist Nepal- in dem Schnipsel, den ich bisher nur kenne- ein Land, was zeigt und zulässt, wie fühlen geht. Und auch, was Liebe ist.

7 Kommentare zu ““normal” Erleben auf asiatisch

  1. Rainer

    Hallo Tina,
    es ist für mich sehr spannend, Deine Nachrichten/Empfindungen/Gedanken zu lesen und zu versuchen sie zu verstehen. Ich lese sie zu einem Zeitpunkt, wo ich Ruhe hab, so tauche ich dann zwischen den Zeilen ab – ein faszinierendes Erlebnis. So komme ich gedanklich immer näher und kann fast nachempfinden, wie es dort ist. Ein aufregendes Erlebnis für mich, wie in einem guten Buch – völlig in die Geschichte einsteigen und spüren….echt irre.
    Danke, dass ich teilhaben darf. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

    Liebe Grüße aus dem (heute grauen) Tonndorf

    Rainer

  2. Mike

    Liebe Tina,
    Danke für die Anregung, ich werde den Weg gehen. Du hast in mir viele sehr wertvolle
    Anregungen und Gedanken ausgelöst, die mein denken und handeln verändern.
    Ich wünsche Dir sehr, dass Dein Weg weiterhin von Glück, Erkenntnis und Erfüllung begleitet wird.
    Mit lieben Gruss
    Mike

  3. Kai

    Guten Morgen Tina,

    Dich im Flieger wie in Zeitlupe über dem Hafen wegschweben zusehen war bewegend, um so dankbarer bin ich dafür, das Du mich an Deinen Reiseeindrücken auf diesem Weg teilhaben läßt.
    Als durchschnittlich “verpupter”, spießiger Nordeuropäer bin ich schon von Deinen Beschreibungen überwältigt, wie muß das erst life u. in Farbe rüberkommen. Deine Beschreibungen nehmen mich mit in eine Welt die ich wahrscheinlich nie erleben werde, aber sie verändern meine Vorstellungen davon u. sicherlich auch die Sicht auf einige Dinge hier. Du mit Deinem Mut u. all den anderen so herrausragenden Fähigkeiten, wie auch Dein Eindrücke so lebendig zu beschreiben, kannst Brücken bauen zwischen diesen so unterschiedlichen Kulturen…
    Ich freu mich auf Deinen nächsten Bericht und guckt am Elbinselstrand sitztend derweil noch gelassener dem durch den Tidenstrom fast wegtreibenden Kayak zu…

    1. Tina Autor des Beitrags

      …witzigerweise saß ich auch beim Losfliegen links am Fenster und konnte die ganze Zeit die Alster sehen- und wußte, Du paddelst gerade und wirst auch meinen Flieger sehen! Das war auch für mich besonders, loszufliegen, Abschied zu nehmen, Fluggeschenke auszupacken, rauszugucken und nicht zu wissen, wann ich denn da wieder lande!
      Also bitte- paddel ein bisschen für mich mit- ein HKC Trikotbild sende ich Dir nach der Schiffstour ;))
      Liebe Grüsse von der Stupa in Kathmandu! T.

  4. Karsten

    Eine wundervolle Beschreibung von Kathmandu in der ich gewisse parallelen zwischen Ihr und Saigon oder Hanoi entdecke. Asien ist einfach ein wundervoller Stadtteil unseres Global Village. Nimm alles mit, in Dich auf und lass uns weiter teilhaben.

  5. Mike

    Guten Morgen liebe Tina,
    vielen Dank für Deine sehr eindrucksvoll
    geschilderten Erfahrungen. Kathmandu, ist sicher Chaos
    in der Superlative und die schreckliche Armut der Menschen
    gibt dem ganzen noch einen besonderen Anstrich.
    Armut erzeugt Demut und Aggression,.Asiaten sind Meister des
    höflichen verdrängen und des freundlichen Lächelns in fast jeder
    Situation. Geniesse Deine Eindrücke in vollen Zügen, aber vergiss
    bitte nicht, dass die Darsteller Deiner Eindrücke die Geknechteten
    unserer Zeit sind. Da die Götter Dich führen, wirst Du sicher von den
    richtigen Impulsen begleitet.
    Geniesse den Tag und jede Stunde!
    Mike

    1. Tina Autor des Beitrags

      Lieber Mike- ich kann Dir nicht so recht zustimmen.
      Es ist wohl nicht die Armut, die hier leitet. Es ist wirklich für mich ein spürbar vom gelebten Buddhismus durchflutetes Land, was sich durch alle Schichten und alle Herzen zieht… Ich spüre einen Unterschied zu anderen asiatischen Ländern, in denen ich war, die mehr auf “das schnelle Geld der Westler” auswaren. Hier ist es wirklich gefüllt von Herzlichkeit.
      Vielleicht erst recht ein Grund, noch in diesem, Deinen Leben mal einen Zwischenstop von Bangkok gen HH hier in Kathmandu einzulegen- und es selbst einzuatmen, mit aller Offenheit, die Dir zur Verfügung steht.
      Ein Bekannter, der hier schon lange lebt, schrieb bei Facebook immer: Nepal ist anders! Ich glaube so langsam verstehe ich, was er meint.
      Es lohnt sich wirklich, einzutauchen.
      Mit besten Wünschen. T.

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