Im Frühling saß ich mit einem Schmunzeln im Kurpark von Bad Dürrheim im Schwarzwald. Es gab dort nicht nur Tulpen zu bestaunen, sondern auch den regen Rollatorverkehr der rentnerreichen Altersstruktur vor Ort. Diese Begebenheit ist sicherlich kein ungewöhnliches Bild mehr in Kurparks. Unsere Mobilität – auch im Alter – hat sich schließlich verändert. Was sich im letzten Jahrzehnt jedoch weiterentwickelt hat, ist die Erweiterung der Hilfsmittel für ältere bzw. bewegungseingeschränkte Menschen. Fluch und Segen zugleich?
Während meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin Ende der 1990er Jahre existierte noch kein Rollator. Er war schlichtweg noch nicht erfunden. Es gab nur seinen Vorgänger — den Gehbock. Wer noch zu instabil für Gehstützen war, konnte diesen Gehbock nutzen. Nach vorn stellen, mehr Halt finden und dann nach und nach die Beine bewegen. Gehbock vor, schlapp – schlapp, Füße hinterher. Hauruck, tapp, tapp. Jetzt ist es bei den meisten eher ein: Zisscccchhhh mit flotten Schritten.
Die Anpassung der Hilfsmittel an die jeweiligen Fähigkeiten des Patienten ist jedoch wichtig. Es soll keine ÜBERforderung entstehen, aber auch keine UNTERforderung. Angepasst an das aktuelle Belastbarkeitsniveau wird aus therapeutischer Sicht das passende Hilfsmittel empfohlen und beübt. So wird bei der Gangschule die Belastung des betroffenen Beines unter anderem durch die Wahl der Gangart beeinflusst http://blog.tina-knape.de/2020/01/24/gangschule-was-ist-das/. Bekommt ein Patient zu früh einen Rollstuhl, besteht die Gefahr, dass er seine Fähigkeiten der Eigenständigkeit zu schnell verliert. Greifen heutzutage die älteren Herrschaften zu früh zum Hilfsmittel Rollator, weil es so salonfähig ist, obwohl sie noch deutlich fitter wären und frei gehen könnten?
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich an einem Rollator- Highway im Schwarzwald saß und die schicken neuen Fahrzeuge mit all ihren Features, Sitzflächenpolstern, Glitzerlooks, verschiedenartigen Bremssystemen und unterschiedlichen Klappmechanismen für den leichteren Transport im Auto bewunderte. Mein altes Fachwissen traf auf ein neues Hilfsmittel, das zu einer Art Accessoire geworden ist. Mit manchem Modell wirkt jede ältere Dame mit Lockwelle nur noch schicker und adäquat ausgestattet. Einkaufswagen, mobile Sitzmöglichkeit und Markenbewusstsein sichtbar vor sich herschiebend. Mitgehörtes Zitat: “Dann parke ich hier mal meinen Porsche.”
Körperlich fehlt bei der Nutzung stets der Armpendel, der durchaus beim Lockern und Lösen der Brustwirbelsäule eine wichtige Funktion hat und gerade das unwillkürlich Halt-im-Körper-Finden beübt. Ein vertrauensvolles freies Gehen ohne vorderer Begrenzung und Griffen in den Händen geht den Damen und Herren leider bei dieser Fortbewegungsart verloren. Andererseits ist das mutige Verlängern der Laufstrecke durch den rollenden Begleiter auch ein anderer lohnenswerter Effekt, oder? Die Sturzgefahr während der Nutzung des Rollators ist ebenso herabgesetzt. Doch wie ist ihr Trainingszustand an einem Standort, der nicht barrierefrei gestaltet ist? Wachsen Ängste? Die Körperhaltung verändert sich häufig ebenso. Wird der Rollator zu weit vorn vor sich hergeschoben, schiebt sich der Po zu weit nach hinten heraus und ein gerader Stand und Gang wird dabei nicht ausreichend beübt. Definitiv ein Für und Wider. Auch das WIE bleibt hier wichtig. http://blog.tina-knape.de/2021/04/08/die-wichtigkeit-des-wie/
Mit der Textzeile von Betterov (er ist 29!) http://blog.tina-knape.de/2022/11/24/angst-zum-hoeren-und-spueren/ im Kopf “Fahr mit ‘nem Rollator durch die Straßen, besuch’ nahe Verwandte” bestelle ich mir ein Stück Torte und denke: New generation. Fachlich betrachtet ist es sicher hilfreich, mit und ohne Hilfsmittel bewusst den Alltag zu bewältigen, um so lange wie möglich flexibel und adaptierfähig zu bleiben. Und was ist es doch auch für ein Segen, dass Omis und Opis sich vielleicht mit diesem Fahrgestell wieder ins Cafe um die Ecke trauen.
Wie wird die Mobilität meiner Generation aussehen, wenn ich 80 bin?