Es wird vermutlich ein persönlicher und rebellischer Blogpost. Immer noch kein Mama-Blog, aber ein Mitgefühls-Blog für alle Eltern mit kleinen Kindern — in Zeiten wie diesen.
Oh, wie habe ich „Normalität“ früher für nicht so erstrebenswert empfunden, sondern beispielsweise auf Reisen gern das „andere“ gesucht… Mein stetiges Ziel war: möglichst keine Routine, wo sie nicht nötig ist. Selbst auf meinem Nachhauseweg vom Job, am besten noch irgendwo in Hamburg an einem Kanal entlangradeln- oder an der Alsterperle auf ein Glas Weißwein vorbeischauen. Es konnte nie abwechslungsreich genug sein.
Mit dem Mutter werden und dem nach-Frankfurt-ziehen war das bereits vollkommen anders geworden. Da bemerkte ich in mir erste Bestrebungen nach Alltag. Statt überraschend kranke Kinder oder fehlende Betreuung, wollte ich Regelmäßigkeit und ein bisschen mehr Planbarkeit haben. Rückblickend betrachtet, ein vollkommen unpassender Zeitpunkt dafür, diese “Normalität” anzustreben. Denn um einem Job gerecht zu werden oder Termine zu koordinieren, verlangt es ohne Großelternnetzwerk und Co mehr Flexibilität und Spontanität als je zuvor. Das ist eine vollkommen neue Aufgabe.
Da mittenrein und obendrauf kam jetzt auch noch die Corona- Krisensituation. Jede und jeder in den verschiedensten Lebens- und Berufsphasen sowie persönlichen Bereichen sieht sich nun nochmal vollkommen anders gefordert. Das Damoklesschwert des Ungewissen, selbst nach der letzten Pressekonferenz, ob und wann und wie wieder Kinderbetreuung für Kindergartenkinder möglich ist, schwebt über uns.
Zur aktuellen Stunde tauchen zum Thema Kindergarten- Betreuung noch keine konkreten Pläne auf, außer: Verschieben. Verschieben auf später, Verschieben auf nach-den-Sommerferien. Doch ehrlich, auch nach den Sommerferien tragen meine Jungs eine Gesichtsmaske nur für die Dauer, um eine Foto zu machen…
Schon jetzt würde ich mich gern herauszoomen wollen und mich im Rückblick fragen: „Wie haben wir das eigentlich damals hingekriegt?“ und: “Wie ist es generell gelaufen? Was gab es dazuzulernen? Was hätte man sich ehrlich sparen können? Was hat sich für den Einzelnen und für die Gesellschaft nachhaltig verändert? Wie geht das nochmal mit der bedingungslosen Liebe? Wo findet man einen längeren Geduldsfaden? Wie kann es so viele verschiedene Lösungsansätze in den unterschiedlichen europäischen Ländern (und sogar Bundesländern) geben? Wie konnte es möglich sein, das soziale Wesen Kindergartenkind, was als Peer-Group einfach auch andere Kinder braucht, in der Planung so außer Acht zu lassen (neben dem dünner werdenden Nervenkostüm der Eltern)?!”
Und ich würde gern ein paar Befragungen und Studien in Auftrag geben. Wie hoch ist die Scheidungsrate ein halbes Jahr nach der Corona-Krise? Wie viele junge Familien mit schon mindestens einem Kind haben sich für ein weiteres Geschwisterchen entschieden- oder eben bewusst nicht? (Aktueller Eltern-Running-Gag: Wenn es im Herbst mehr Corona-Babys gibt, dann sind das alles Erstgeborene 😉 .)
Gab es einen Wandel der Berufswünsche der Schulabgänger im „Corona- Jahr“?!
Entstehen neue Branchen, die sich gerade jetzt durch die Krise etablieren?
Verändert sich das Kaufverhalten, Essverhalten, Freizeitverhalten, Beschulungsverhalten o.ä. auch nachhaltig? Hat sich unsere Mode verändert- oder unser Musikgeschmack?
Gab es mehr Suizide? Steigt die Zahl der Alkoholiker? Oder wächst die Anzahl der Laufsportbegeisterten überproportional und nachhaltig?
Wird unser Kontakt anders, ausgewählter? Näher oder distanzierter? Wacher oder nachlässiger?
In mir entsteht der Impuls, erst recht umarmen zu wollen, wenn ich gute Freunde zufällig treffe. Und irgendwie ist es gefühlt auch legitim. Physiotherapeut(inn)en dürfen und sollen ruhig weiter behandeln. Aktuell darf ich im Job Kontext anfassen und ziemlich nah kommen, selbst bei mir Fremden. Dann wäre es eine therapeutische Umarmung, wenn ich eine gestresste Mutter schnell ohne ihre Kids im Supermarkt treffe, bevor sie wieder nach Hause flitzt. Sonst habe ich mir im öffentlichen Raum bei neuen Begegnungen einen Knicks angeeignet 😉 .
Neulich hatte ich eine kleine Vorstellungsgesprächerunde, weil auch ich spontan nun eine Corona- Arbeitslose geworden bin (was mich automatisch zur Kindervollbetreuerin gemacht hat…). Es war sehr vielseitig und unterschiedlich in den einzelnen Einrichtungen, auch, wie diese aktuell durch die rückläufigen Patientenzahlen schlittern oder stapfen. Mund und Nasenspitze eines Kollegen habe ich selbst mit Sicherheitsabstand in einem Gespräch nicht zu sehen bekommen. Das war auch eine vollkommen neue Erfahrung.
Was werden wir später erzählen, was wir damals in der Corona-Krise gemacht haben? Wie werden wir beschreiben, wie es uns damit ging? Gerade eben sind wir noch mittendrin. Und es ist wie eine Pause haben. Und irgendwie auch gar nicht. Draußen ist sichtlich weniger los– kaum Autos auf den Straßen, kaum Flugzeuge am Himmel (und wenn doch mal eins kommt: Guck mal, ein Flugzeug!), Leute verbringen ihre Zeit in Warteschlangen vor den Supermärkten für die abgezählte Anzahl Einkaufswagen recht geduldig in Latexhandschuhen oder kaufen azyklischer ein. Die fleißigen Paketmänner und- frauen haben noch mehr zu tun als sowieso schon; andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, zuhause jemanden zum Ausliefern anzutreffen, auch gleich noch viel höher 😉 .
Wir machen alle gerade Pause von unserer Form der “Normalität”, die wir kennen. Und gleichzeitig fühlt es sich in meinem Fall mit dem Tagesbeschäftigungspensum mit zwei kleinen Jungs zuhause überhaupt nicht nach Pause haben an! Täglich braucht es ausgewogenes Essen zu organisieren (und das dann parallel noch zu kochen), muss man bzw. Frau in die Tage Struktur und Abwechslung bringen, gilt es, Bewegung an der frischen Luft zu gewährleisten, zu entertainen, Briefe an Freunde aus der KiTa zu schreiben (und dann verteilen — wiederum gute Beschäftigung), Wäsche zu waschen, ständige Krümel aufzufegen (und in der Stadt wird viel zu wenig gekrümelt, um dass die Tauben um ihr Überleben kämpfen…, hier würden sie genug finden!), Brüderkloppereien zu schlichten, Bücher vorzulesen, Kinder ins Bett zu bringen… und die meisten arbeiten dazu noch beide im Homeoffice, je nach Jobstruktur. Und das ist so gar nicht Pause haben!
Leider mache ich auch nicht so recht Pause von dem Auf und Ab der Launen, die ich selbst durchlaufe- und alle anderen Familienmitglieder für sich und miteinander natürlich auch noch. Wuuaaaahhh! Eine Freundin meinte neulich: “Und immer beim Ausatmen ein Geräusch machen!” Da kamen bei mir zur Zeit recht häufig Grrgrgrg-Geräusche zutage.
Parallel habe ich gerade angefangen, jene Sätze zu sammeln, die man in dieser Zeit und in dieser Situation gerade nicht hören will. Einer ist: “Dann wisst Ihr mal, wie das früher war, als wir die Kinder immer zuhause hatten–” Ein anderer: “Da bist Du selbst für verantwortlich, dass Du mal eine Familie gegründet hast.” Noch einer: “Ich verstehe gar nicht, was Du hast?”
Zugegeben, es ist nur ein Lamentieren auf hohem Niveau. Ich habe zutiefst Mitgefühl mit allen, denen es zusätzlich wirtschaftlich mit jedem weiteren Tag mehr und mehr an die Existenz geht. All die Ladenbesitzer, die Künstler- und Gastro-Szene… und manche davon haben parallel trotzdem noch die Kids-Nummer am Start. Größtes Mitgefühl! Zusätzlich haben wir genug Platz, um uns nicht noch räumlich auf den Keks zu gehen.
Bei anderen passieren gerade wahrlich lebens- entscheidende Dinge, die man nicht verschieben kann: ein Kind bekommen (manchmal ohne die Erlaubnis, dass der Vater dabei ist) oder Hochzeiten und Trauerfeiern finden ohne Gäste statt… Ich sehe das. Das hilft, im Auf und Ab zu merken, dass es wie auf dem Containerschiff auch eine Frage der Perspektive ist– und auch das Gefährt und die Fahrtrichtung, auf dem man auf dem Meer unterwegs ist, den Umgang mit den Wellen mitbestimmt. http://blog.tina-knape.de/2015/01/15/auf-dem-meer/
(Kleiner Einschub: Auch bei den Kids fängt es an, stimmungsmäßig zu knirschen und sie vermissen ihre eigenen Sozialkontakte — ErzieherInnen, Freunde, Spielgefährten. Neulich im Wald ist mein Großer zwei anderen Jungs, die mit ihrer Mutter unterwegs waren, hinterher gelaufen und wollte auch “ihre Wege rennen” und unbedingt am gleichen Baum zur gleichen Zeit klettern. Seine Frage abends beim Einschlafen war: “Mama, wann ist endlich wieder der blöde Virus vorbei? Ich will meine Freunde wiedersehen!”)
Und doch — es sind für jede und jeden von uns sonderbare Zeiten, weil alles so anders ist und bleibt. Vermutlich hat jeder sein Päckchen zu tragen und ich freue mich sehr über die Zustimmung und den Raum, Einblicke in das zu bekommen, wie auch andere ihre kleine und auch die große Welt drumrum gerade wahrnehmen. Es gibt eine neue Elterninitiative auf Facebook, die sich fachlich kompetent mit der aktuellen Situation auseinandersetzt. Immer mehr Zeitungen veröffentlichen Artikel zu dem Thema, dass sozialer Kontakt auch für Kinder essentiell ist. Sprachentwicklung, psychisches und physisches Wohl und Miteinander stehen im Vordergrund. Es entwickeln sich Initiativen und Petitionen werden gebildet. Im Freundeskreis gibt es Solidaritäten, dass Eltern die halben Tage nicht ihre 2 allein, sondern 4 oder kein Kind zum Arbeiten zuhause haben. Ein älterer Nachbar einer Freundin stellt einmal die Woche für die ganze Familie ein selbst zubereitetes Wunschessen vor die Tür. Kreativität erwacht.
Was mich neulich mitten in meiner Grummelphase erreichte, war eine Nachricht meiner besten Freundin. Sie meinte: Ich war mit der Kleinen heute wieder bei Dr. Wald. Wir sind rumgestromert und haben Steine gesammelt. Das tut immer gut.
Recht hat sie. Wenn ich die Jungs schnappe und in den Wald fahre, gibt es die ausgeglichenste und friedlichste Stimmung. Zu entdecken gibt es unendlich viel- im Großen wie im Kleinen. Dr. Wald ist bisher echt das Beste! Da kann man dann auch mal eine Runde schreien 😉 http://blog.tina-knape.de/2019/03/30/wege-des-ausdrucks-ausdruck-als-weg-2/
Mögen wir wach und kreativ bleiben, uns selbst und andere nochmal besser kennen zu lernen und bei einem Resümieren in einem Jahr oder so denken: Ach, so haben wir das damals hinbekommen! Wachstum findet echt außerhalb der Komfortzone statt!
Wie treffend formuliert. Ich befinde mich glücklicherweise in der komfortablen Lage, mir zumindest um meine Existenz keine Sorgen machen zu müssen, da ich mich im Homeoffice betätigen darf. Dazu gesellten sich bis zum Dienstag zwei Homescooling-Kinder, von denen das Größere seit Mittwoch zumindest zur Prüfungsvorbereitung in die Schule gehen darf. Ich gebe ehrlich zu, dass mir die Grundzüge der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht mehr so geläufig waren und ich mich besorgt gefragt habe, ob ich davon schon jemals gehört habe. Ich hoffe, dass alle Prüflinge die Möglichkeit bekommen, in dieser Situation einen halbwegs vernünftigen Schulabschluss zu absolvieren. Meine jüngere Tochter – anfangs hoch motiviert – schaltet mittlerweile immer mehr auf Ferienmodus um und sieht keine übermäßige Veranlassung mehr, sich mit den übersandten Aufgabenpaketen zu vergnügen. Ich bin froh und dankbar über das Vorhandensein unseres Gartens als Rückzugs- und Bewegungsdomizil. Was allerdings besonders fehlt, sind die doch arg eingeschränkten Sozialkontakte,nicht nur für Kinder. Besonders arg trifft es sicher die Senioren in den Pflegeeinrichtungen. Wir haben mit den Kindern kleine Briefe und Gemälde in den Briefkasten gewichtet, was gut angekommen ist.
Halten wir also alle gemeinsam durch und kämpfen uns durch die so treffend beschriebene sonderbare Zeit, in der Hoffnung, dass uns bald wieder ein Stück Normalität gegönnt ist und wir alle gesund bleiben.
Liebe Grüße Netti
PS: Schnappe mir jetzt die Walkingstöcke und gehe zu Dr. Wald! 😊
Vielen Dank für die wirklich treffenden Worte. Es hilft zu lesen, dass andere ähnlich fühlen.