Gesicht zeigen

Arbeitskleidung 2020-2023

Nach drei Jahren fallen jetzt auch in der Therapie die Masken. Was für ein anderes Erlebnis und Begegnen!

Zu Beginn der Pandemie habe ich als Physiotherapeutin in einen eher klinikartigen Praxisbetrieb gewechselt. Um nicht zu vergessen, was wir für Regeln und Bedingungen durchlaufen haben, möchte ich es ein Stück weit hier noch einmal schriftlich festhalten. http://blog.tina-knape.de/2020/04/23/keine-pause-in-der-pause/

Im Frühjahr 2020 ging es los mit Arbeiten und Atmen unter Stoffmasken, selbstgenäht. Wer konnte oder gute, kreative Kontakte hatte, war ausgestattet mit abgefahrenen Motiven oder dem Eintracht-Adler darauf. Danach gab es FFP2-Masken zum Goldpreis. In der Klinik wurden sie abgezählt den Mitarbeitenden gestellt — eine für 2 Tage, die wir abends im Backofen ausbacken sollten, um “den Erregern” den Garaus zu machen. Das fand recht zeitgleich mit abgesperrten Spielplätzen statt. http://blog.tina-knape.de/2020/04/30/wahrnehmungsschulung-mundschutz-tragen/

Irgendwann gab es die Corona-Testsets für Profifußballer und mit Zeitverzögerung waren sie auch in Kliniken und danach bei uns im ambulanten Setting verfügbar. Neulich fand ich in meinem Schlüsselmäppchen einen Zettel von der Klinikleitung, der mich als “Systemrelevante” befähigte, auch in Zeiten der regional unterschiedlichen Sperrstunde auf Grund der Inzidenzen, für meinen Job abends noch vor die Haustür zu dürfen. (Ich frage mich noch immer, ob der Virus sich vor allem nach 22 Uhr besonders groß und gefährlich aufgebläht hat?) Zumindest ermöglichte mir mein Beruf, nachdem die Kitas wieder geöffnet hatten, meine Kinder in eine einigermaßen regelmäßige, wenn auch zeitlich verkürzte Betreuung zu geben. Nicht viele ihrer Kumpels waren da. Und noch immer schüttel ich den Kopf und denke: Was für Regeln!

Es folgten bundeslandspezifische Regelungen, ausufernde Debatten über den besten Impfstoff — vor allem von Seiten der Patienten, geschlossene Friseure, Reisebeschränkungen, Limitierung der Anzahl der Menschen, die sich trafen. Die Impfungen rollten an, die Beschränkungen mit 3G, 2G im Restaurant und Schuhgeschäft inklusive Armbändchen bildeten den Gipfel. http://blog.tina-knape.de/2022/01/13/warten-auf-den-zenit/

Der für mich persönlich einschneidenste Moment war, dass ich nun in einer Praxis arbeitete, in der die 2Gplus Regel galt und wir somit nicht mehr jeden als Patienten auf unserer Behandlungsbank zuließen. Ausschlussverfahren in einer medizinischen Einrichtung, neben einem Akutkrankenhaus! In 20 Berufsjahren habe ich noch nie den aktiven Ausschluss von Patienten erlebt. Nicht die Notwendigkeit einer Behandlung war ausschlaggebend, sondern der Impfstatus. Das ist für mich noch immer unbegreiflich.

Zusätzlich gab es Unterscheidungen in der Test-, Dokumentations- und Maskenregelung zwischen geimpften und ungeimpften Kolleg*innen. http://blog.tina-knape.de/2021/01/12/impfung-und-raum-lassen-fuer-eigene-entscheidungen/ Auch kein Betriebsrat sorgte für Gleichstellung. Dazu kam die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Medizinischem Personal (und selbst den Hausmeistern und Sekretärinnen im Haus) entzog es den Raum einer persönlichen, individuellen Impfentscheidung. Bei einem Verneinen wurde die Person auf einer Liste eingetragen, offiziell diese Info an die Leitung weitergegeben und man musste sich der Existenzbedrohung stellen, den eigenen Beruf nicht mehr ausüben zu können. Alle ungeimpften Kollegen, die dem Druck standhielten, wurden zum Stichtag 15.03.22 dem Gesundheitsamt gemeldet. Zukunft: ungewiss. http://blog.tina-knape.de/2021/07/29/regeln-druck-und-ihre-auswirkungen/

Doch nun stehen wir an einer anderen Stelle der Geschichte. Keine Testpflicht mehr. Kein Impfpflichtgesetz mehr. Keine Maskenpflicht mehr. Wir schauen uns wieder ins Gesicht! Nicht nur in der UBahn tragen die Menschen nicht mehr als Pflicht etwas über Mund und Nase, sondern auch als Therapeut*in an der Behandlungsbank entscheidet jeder wieder selbst. Wer sich und seinem Körper das nach all der Zeit noch zutraut und es nicht zu ungewohnt, intim, erschreckend, persönlich, nicht fachlich kompetent, unsicher, irritierend findet, darf seit dem 1.3.23 jetzt offiziell wieder ohne Maske arbeiten. Ich habe junge Kolleg*innen im Team, die seit Tag 1 ihrer Praxiserfahrung nur mit Maske gearbeitet haben und Behandeln “ohne” nie kennenlernten. Für sie war die Ausbildung schon ein kontaktarmes Homeschooling und alles, was mit Begegnung und Patienten zu tun hatte, fand unter neuartigen Schutzmaßnahmen statt. Auch deren Latexhandschuhverbrauch ist ein deutlich höherer. Ich bin nicht erstaunt, dass es für diese Generation so ohne der Erfahrung der “Zeit davor”, auch erschreckend ist, sich voll zu zeigen.

Die Lockerungen zum freieren Durchatmen an meinem Arbeitsplatz kamen jetzt doch holterdiepolter. So richtig gut überlegt hatte die Politik es sich dann wohl nicht, die Testzentren zum 1.3.23 zu schließen bzw. staatlich nicht mehr zu fördern und andererseits die Klinik-Corona-Regeln bis 7.4.23 verankert zu haben. Somit bleibt die Undurchsichtigkeit der Regeln auch bis zum Schluss konsequent erhalten.

Mit der Diagnose “long covid” nun auf einem Ergometer mit oder ohne FFP2- oder OP-Maske zu radeln, liegt für einen weiteren Monat noch im Ermessen und Wohlbefinden des Therapeuten. Fachlich ist beispielsweise eine Atemtherapie mit Maske schon lange in Frage zu stellen, war mit der Gesetzeslage nur nicht vereinbar. http://blog.tina-knape.de/2020/10/29/wo-wohnt-die-wuerde-in-coronazeiten-die-gewichtung-von-kollateralschaeden/ Und auch da: 3 Jahre lang kein fachlicher Aufschrei. Stille Akzeptanz jeder Regel.

Nach drei Jahren bekomme ich an meinem Arbeitsplatz erstmals die Chance, das komplette Gesicht mancher Kollegen und Patienten zu sehen, wenn sie sich denn trauen und den Ort dafür passend finden. Ich bin immer wieder erstaunt, was sich ohne Verhüllung dann zeigt — und wie der eigene Geist sich ein Gesicht zu Ende denkt. Manch Physiognomie und Mimik sind eine Überraschung. Geht Ihnen das auch so?

Ein freigelegtes Lächeln wird wieder möglich, auch im Praxis- und Kliniksetting! Was für drei Jahre! Ich freu mich drauf!

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