Wundheilungsphasen leicht erklärt

Im Praxisalltag begegnet uns Physiotherapeuten immer wieder die Frage (und manchmal auch Ungeduld) der Patienten, ab wann sie nach einer Verletzung oder Operation wieder durchstarten dürfen. Die Erklärung der Wundheilungsphasen ist dabei für das Verhalten der Patienten und für den Verlauf der Heilung wesentlich! Deshalb möchte ich hier in einer “leicht erklärt” Version Wissen liefern, was ich sonst mündlich an der Behandlungsbank nahebringe. Grundsätzlich bekommt jeder Patient bei komplexen Erkrankungen vom behandelnden Arzt auch ein Nachbehandlungsschemata mit an die Hand, in welchem er/sie klare Verhaltensregeln und Belastungsstufen nachlesen kann. Dieser Blogpost hier dient eher dazu, ein grundsätzlichen Verständnis zu schaffen, wie es denn zu den meist üblichen Zeitfenstern kommt und was daraus resultiert.

Jeder Körper durchläuft nach einer Verletzung bzw. OP sog. Wundheilungsphasen. Was genau in den einzelnen Phasen in jeder Zelle selbst passiert, darüber sind sich selbst die Wissenschaftler nicht einig. Einerseits wird die Summe der Phasen “Reparaturprozess” (somit auch Bildung von Narbengewebe) genannt. Andererseits wird davon ausgegangen, dass es sich um eine “Regeneration” handelt (und somit gleiches oder sehr ähnliches Gewebe neu gebildet wird). Wichtig zu beachten ist: Zu unterschiedlichen Zeiten freut sich das (Binde-)Gewebe über unterschiedliche, wohldosierte physiologische Reize — und anfangs insbesondere über viel Ruhe.

Doch Schritt für Schritt. Eine kleine Übersicht.

Phase 1: Die ersten 0-5 (oder 7) Tage “Entzündungs- oder Reizungsphase”

Als erstes repariert der Körper das feine Gefäßsystem, danach gröbere Zellen. Das Wesentliche dabei zu beachten ist, “…während der gesamten Entzündungsphase mit jeder Form von mechanischer Belastung auf das Verletzungsgebiet sehr zurückhaltend zu sein…” (Frans van de Berg, Angewandte Physiologie). Diesen Aspekt versuche ich jedem Patienten frühzeitig nahezubringen.

Also: Phase 1 heißt: ruhig Blut. Gar keine bis wenig Belastung. Gesundes und vor allem viele Vitamine essen und ausreichend trinken. Möglichst nicht rauchen (das sorgt gerade in der Anfangsphase definitiv für eine bessere Wundheilung und Narbenbildung!). Vorsichtig bewegen — und am besten Bewegungen in der Nachbarschaft der Verletzung ausführen und den betroffenen Bereich/Gelenk selbst in Ruhe lassen. Sollten Sie Unterarmgehstützen bekommen haben, dann benutzen Sie sie bitte auch! Sie dienen als STÜTZE für mindestens diese erste Woche (auch wenn manchmal selbst der Arzt nach “nur einer kleinen Kniearthroskopie” empfiehlt, sie so schnell wie möglich in die Ecke zu stellen.) Denn Zellen brauchen ihre Zeit. Die B-Note, das heißt, auch WIE Sie gehen, ist wesentlich in Sachen “mechanische Belastung”. Kleine Narben an der Oberfläche sagen noch nichts über die gelenkige Tiefe des Eingriffs aus. Fragen Sie nach Ihrem Nachbehandlungsschemata.

Schmerz ist vor allem in dieser Phase eine Grenze für die Bewegungen, die unbedingt respektiert werden muss. Wenn Sie schmerzstillende Medikamente nehmen, spüren Sie das Feedback ihres Körpers nur verändert und abgeschwächt. Also erst recht bewusst den Kopf und das Verständnis nutzen. Entlastung ist wichtig. Wenn Sie Bewegung ausführen, dann ist hubfreies Bewegen oder Pendeln für z.B. Schulter und Knie erlaubt.

Ganz einfach formuliert:

Während der ersten Woche Beine oder Arme hochlegen, ruhig machen. Den Zellen Gelegenheit zum Regenerieren geben. Hineinspüren und die Heilung wohlwollend von innen beobachten. Das zahlt sich aus!

Phase 2: 5. bis 21. Tag “Proliferationsphase”

Auch nach der 1. Woche ist Geduld und Raum für die Wundheilung ein wichtiger Aspekt. Schmerzlimitiert zu bewegen, bleibt ein beachtenswerter Punkt. In dieser Phase sollten die klassischen, anfänglichen Entzündungszeichen (Wärme, Röte, Schwellung, Schmerz) rückläufig sein. Wenn nicht, war Ihr Bewegungsverhalten bisher eventuell nicht piano genug. Sollte Ihr Gelenk noch heiß sein, ist Kühlen an sich eine gute Idee, allerdings kein “Einfrieren” mit einem Coolbag. Nutzen Sie stattdessen lieber einen kurzen kalten Reiz für die Dauer einer Abreibung mit einem Eiswürfel. Und ein Eis essen hat sich grundsätzlich bewährt, zumindest bei Ungeduld ;).

In Phase 2 ist es empfehlenswert, kleine Bewegungsreize zu setzen. So ein bisschen Input brauchen dann die Zellen in dieser Phase. Aber seien Sie weiter wachsam und wohldosiert dabei. Bedenken Sie, dass alles noch recht frisch ist! Schmerzlimitiert zu bewegen ist weiterhin wichtig und auch hier immer wieder unter der Beachtung, ob Sie “unter Drogen” sind oder nicht. Meist geht es in dieser Phase mit weniger Schmerzmedikation ganz gut. “Wird das Gewebe während dieser Phase innerhalb physiologischer Grenzen belastet, so sieht man, dass die Organisation (in neu heranwachsendem Gewebe) gut ist und ein normales funktionsfähiges Gewebe aufgebaut wird.”

Meist sind in der Therapiezeit erste Behandlungen ohne Schienen, Orthesen und Co möglich, um passiv, assistiv und vorsichtig aktiv das betroffene Gebiet und vor allem auch die direkte Nachbarschaft zu trainieren. http://blog.tina-knape.de/2020/02/21/fuer-gute-nachbarschaft-im-koerper-sorgen/

Phase 3: 21. bis 60. Tag “Konsolidierungsphase”

Die Belastbarkeit des nun neu gebildeten Gewebes wird deutlich höher. Dies bietet eine andere, besondere Behandlungsgrundlage, da mehr gemacht und abverlangt werden kann. Also, wer mit Vernunft, Gespür und einem gezügelten Temperament (plus jeder Individualität des persönlichen Wundheilungsgeheimnisses, was man nicht beeinflussen kann) gut durch die ersten 3 bis 4 Wochen Wundheilung gekommen ist, kann in dieser Phase eine neue Intensität der Übungsauswahl, der Therapiegriffe und der Alltagstauglichkeit ernten. Und auch da zeigt es sich wieder: Das Tragen von Gips, Schiene und Co beläuft sich “klassisch” auf 3-6 Wochen. Es liegt an dieser Wundheilungsphase, dass die Zellen nach Entlastung und Teilbelastung nun eine langsame Steigerung bis hin zur Vollbelastung verkraften. Dafür gibt es einen zellulären Grund! Also wenn die Ungeduld hochschwappt: Auch der Profi-Fußballer muss da zeitlich durch. Und Sie haben ein wichtiges Zeitfenster schon gut hinter sich gebracht.

Im eher fließenden Übergang geht es dann weiter in die nächste Phase.

Phase 4: 60. -ca 120. Tag “Organisations- oder Umbauphase”

Das neu gebildete Bindegewebe wandelt sich peu à peu in stabilere Zellen um. In der Therapie kommen Sie in der Vollbelastung an und werden nach und nach mehr gefordert. Die Intensität der Eigenübungen steigert sich. Vielleicht sind Sie im Alltag schon vollkommen wiederhergestellt. Zur Wiederaufnahme von intensiverem Sport gibt es verschiedene Empfehlungen ab ca. einem halben Jahr bis hin zu einem Jahr. Erst dann ist eine gesteigerte Stabilität der Zellen gewährleistet. Aufbauende und stabilisierende, anspruchsvolle Übungen werden der neue Trainingsalltag.

Nichtsdestotrotz ist alles ein individuelles Geschehen, was je nach Gesamtzustand, Alter, Vorgeschichte, Nebenerkrankungen, Wundheilungsverlauf, ärztlicher Sicht und vielem mehr abgewogen werden muss, wann und wieviel jeder seinem Körper an Belastungen zutrauen kann.

Zusammenfassung:

Jeder Körper hat klare Wundheilungsphasen, die er durchläuft. Egal, ob Sie Profisportler oder ein alter Mann im mittelmäßigen Fitnesszustand sind: Alles braucht seine Zeit. Es gibt Komponenten, die das ganze positiv oder negativ beeinflussen. Also denken Sie in kleinen Zeitfensteretappen anstatt “aber früher habe ich doch immer…”. Viel wichtiger ist- 1. Woche, nach 3-6 Wochen, nach 3 Monaten, nach einem halben Jahr… So mache ich das beim Behandeln auch. Wie lange ist es her? — 9 Monate? — Na, dann darf ich schon richtig loslegen und den Körper Reizen aussetzen. Wären es wiederum nur 9 Tage, würde ich mit einer ganz anderen Sanftheit die Zellen im Heilungsprozess unterstützen.

Mögen Sie eine optimale und wachsam- bewusste Wundheilung haben!

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