In meiner Arbeit an der Behandlungsbank komme ich immer wieder- vor allem bei jungen PatientInnen- an einem Spannungsmuster an, was eher generalisiert ist. Es ist nicht ein spezifisch verspannter Muskel nach körperlich ungewohnter Arbeit, einem motorisch- monotonem Job oder erklärbaren Beschwerden nach einer Verletzung oder Operation. Es ist eher ein hoher Tonus, der die Betroffenen begleitet und nach Selbstbeschreibung mit “Stress” noch mehr wird. Was als Stress empfunden wird, ist sehr individuell. Zumindest befindet sich der Körper (und Geist) nicht in einem Ausgleich von Input und Output, von Aufnehmen und Abgeben.
Wenn sich Schmerz und konstante Verspanntheit schwierig durchbrechen lässt und der Effekt von Behandlung eher gering ist oder schnell wieder zurückrutscht auf die Startposition, braucht es einen anderen Impuls und Begleiter.
Die immer wieder entdeckte Überschrift- innerlich und auch praktizierend- ist: Ausdruck!
Hilfreiche Fragen sind:
Haben Sie einen adequaten Ausdruckskanal für die Spannung, die Sie tragen?
Wo kann sich das hinkanalisieren und abfliessen? Wieviel kommt rein, wieviel geht raus? Wie intensiv und impulsiv gehen große Gefühle- wie Wut, aber auch Freude- auszudrücken? Wie sehr darf traurig, aber auch begeistert sein sichtbar werden? Empfinden Sie genug Raum in sich und drumrum, dass zu sein und zu zeigen, was Sie alles fühlen und sind?
Die beiden Hauptkanäle zu AUSDRUCK sind: Stimme und Bewegung.
Gemeinsam ausgedrückt: Sehr kraftvoll.
Die Umsetzung ist facettenreich.
AUSDRUCK mit Stimme kann singen, summen, schreien, lauten, Atemübungen, ausatmen mit Tönen sein… Richtung: Raus damit!
“Bewegung” als Headline ist ebenfalls vielseitig. Das Ziel ist, einen Pendant zur Wucht zu haben, den die PatientInnen auch an Spannung in sich fühlen.
Das ist meist eher nicht spazieren gehen oder laufen (da wäre meist eine seeehr lange Strecke nötig), sondern eher was impulsives und ein Stück weit Grenzenloses und Offenes. (Somit auch eher kein strukturierte Kieser-Training an Fitnessgeräten.)
Ist der Tag eher mit viel Sitzen und Denken als Aufgabe und Job gefüllt, braucht es tendenziell was mit großen Bewegungen, um den Gesamtorganismus in Schwung zu bringen. Ist der Beruf sehr körperlich und aufwühlend, ist die Ausrichtung auf Einkehr meist eher adequat. Wie bei einer Waage, um für Gleichgewicht zu sorgen.
Bei hoher Grundspannung je nach Typ ist meist Tennis, Badminton, Boxen, Kampfsport… gut geeignet. Für das Zusammensammeln bei körperlich Ausgepowerten eher Yoga, Feldenkrais, Qi Gong, mehr nach innen lenkende Sportarten.
Spüren Sie mal rein… was wäre es bei Ihnen?
Manchmal fühlt es sich auch total stimmig an, etwas kreatives, ein Stück weit vielleicht sogar “sinnfreies” (oder eben sinnvolles) als Ausgleich und Ausdruckskanal zu entfalten. Da sind auch schreiben, töpfern, malen, was mit den Händen erschaffen etc. ent-spannende Elemente.
Grundsätzlich geht es darum, dass wir einen Flow in uns fühlen. Der Fluss des Lebens findet zwischen Chaos und Starre statt. Ausdruckskanäle zur “seelisches Bereinigen” zu finden und zu haben, sind sinnvoll und lohnenswert, ausfindig zu machen.
Das Leben besteht aus Ja und Nein. Aus Stille und Schreien können. Aus traurig, aber auch freudig sein. Aus Tun und Sein.
Im besten Fall ist Raum für beides.
Das gilt es auf dem Weg wunderbar zu entdecken und dazuzulernen.
Fragen, die helfen können, zu finden, was passend ist:
Was haben Sie in ihrer Jugend gemocht und ganz vergessen? Was wollten Sie auch schon immer mal ausprobieren? Wie fühlt sich der Körper vor und nach dem Tanzen/Springen/Austoben… an? Geht Grundspannung dabei raus? Ist der Körper danach voller oder leerer, vitaler oder schlapper? Fühlen Sie sich nach dem Experiment “Ausdruck” innerlich verbundener?
Es lohnt sich, Probestunden- Angebote zu nutzen und es wirklich “am eigenen Leib” zu spüren, ob es in den Zellen und im angestauten Depot ankommt. Bringt es Zugang und frische Luft an den angestauten inneren Berg? Erlebte Erfahrungen haben die größte Kraft. (Und sind gleichzeitig der beste Gegner für den häufig benannten inneren Schweinhund.)
Im Rahmen von Behandlungen ist es unterstützend, die “avenue of expression”, den Ausdrucksweg, frei zu behandeln. Das Zwerchfell, der Brustkorb, die Halsregion und Mund/Kiefer werden als solches benannt.
Und auch auf mechanischer Ebene sorgt ein lautstarkes Mitsingen im Auto auf dem Nachhauseweg für mehr Vibration und Raum in Thorax und Gemüt. Und für gute Laune obendrein. 😉
Sich im Ausdruck besser kennenzulernen und zu üben, schafft Zugang zu Grundspannungsphänomenen im Körper und legt sie freier. Es verbindet uns wieder besser mit unserer Urkraft und Grundenergie.
Es hilft beim Kanalisieren von Alten und Sortieren von Aktuellem.
Es fühlt sich schön an, selbstbestimmt zu sein und bei den eigenen Spannungen “mitzuwirken” und damit nicht nur zum Therapeuten, Arzt oder zur Thai-Massage gehen zu können, sondern selbst Regie zu führen.
Es ist der langfristig wirksamere Weg, der sich in meiner Praxisanwendung bewährt hat und gleichermaßen in der Selbst- und Körperwahrnehmung schult, “Vorboten” oder “Stauungsphänomene” zu erkennen und gegenzusteuern. Es hat die Wirkung von Bereinigung und “Dampf ablassen”. Es belebt die Eigenverantwortung.
Es ist eine andere Art, für sich gut zu sorgen. Gleichzeitig hilft es uns dabei, ein klareres und freundlicheres Wesen anderen Gegenüber zu sein, wenn sich Zurückhaltungen und Spannungen da ausdrücken, wo es sich nicht gegen jemanden richtet (vor allem ja meist auch die, die wir lieben…). Es darf raus, aber nichtsdestotrotz findet es einen gesunden Ausdruck mit Stimme und Bewegung in Sport oder Kreativität als Kanal. Damit sorgt es häufig auch für ein situationsadequateres Miteinander.
Ausdruck dient als Weg und Lösung.
Ausdruck leben ist auch ein tolles Abenteuer mit viel Raum für Entdeckungen in einem selbst und in den facettenreichen “Rauslass”-Möglichkeiten.
Viel Freude dabei, wohlige Lösungen im Körper und ent-spannende Ausdrucks-Experimente!