Meine Superkraft

Kreativer Schreibauftrag

Ich kann Moped fahren.

Ich düse damit im Flow der Stadt. Ich bewege mich vorwärts ohne Trampeln, im Sommer somit ohne zu schwitzen. Ich benutze nur 2 Räder und kann dabei die Balance halten. Ich kann Gas geben und den Wind spüren. Ich kann bremsen und souverän an der Ampel halten.

Ich finde immer einen Parkplatz, auf jedem Bürgersteig, auch mitten in der Stadt, ist Platz für mich und mein Gefährt. Mein motorisierter Begleiter, mein Moped ohne Namen, verleiht mir zugegebenermaßen ja erst die Möglichkeit, meine Superkraft “auf die Straße zu bringen”. Dadurch komme ich pünktlich an und verschwende keine Lebenszeit mit Parkplatzsuche.

Meine Sinne haben die Gelegenheit, all die Düfte und Geräusche der Stadt wahrzunehmen – vom kiffenden Kinderwagen schiebenden Zwillingevater am Straßenrand, dem Geruch nach gebratenen Reis vom Asialaden an der Kreuzung, die Abgase des Vorstadt- Porsches vor mir, das Heulen des Kindes im Lastenrad rechts neben mir (ich glaube, es will ein Eis), der unverwechselbare Duft von frisch gemähtem Gras, die Wogen an Aromen des Verrottens vom Herbstlaub, der nahende Schnee in der Luft, das Kläffen des Hundes, die Sirenen des Krankenwagens hinter mir.

Ich kann jede Jahreszeit als Ganzkörpererlebnis spüren. Je nach Saison verlangt es unterschiedlich viele Kleidungsschichten. Manchmal erschrecke ich Menschen im Café, wenn ich die zusätzliche Montur bei meiner Ankunft ablege. Doch das ermöglicht mir Mobilität zu jeder Saison.

Witzigerweise kann ich an der Ampel auf der 2. Spur dem Busfahrer auf Augenhöhe begegnen und ihm kollegial als Lenker zunicken. Zwar bin ich nicht ihre Kundin, aber so eine Art Kollege.

Ich biete älteren Herrn beim Moped abstellen die Möglichkeit, mit mir ein Gespräch anzufangen und mich nach den kw zu fragen. (Und ich kann es wohl noch immer nicht korrekt beantworten.) 

Auf dem Moped bereite ich bei Bedarf in meinem Kopf ein schwieriges Gespräch vor und arbeite an einem inneren Bild, wie ich verständlich beschreiben kann, wie ich mich gerade fühle. Ich nutze die Zeit, den Arbeitstag Revue passieren zu lassen und innen wieder leerer zu werden, um Kapazitäten für die nächste Etappe Lebensgeschichten (beispielsweise Schulepisoden der Kinder) zu haben. Auf dem Sitz des Mopeds, geschützt unter der Glocke Helm, stets an der frischen Luft, initiiere ich einen Ort des Sortierens und der Blaupause, mein Platz des bewussten Hier und Jetzt. Es schafft Räume in mir, für das nächste Aufgabenfeld nach der Fahrt wieder erreichbar zu sein. 

Mit meinem Superkraft- Moped kann ich korrekt und flexibel auf der Autospur mitschwimmen oder mich beim Rückstau (bei zeitlicher Not) für einen kurzen Moment in ein Fahrrad verwandeln und die rot gekenntzeichnete Spur nutzen, weil ich mit meinem Fahrzeug so schön zweirädrig schmal bin.

Meine Superkraft ist, pure Freude bei meiner städtischen Mobilität zu spüren und bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter, mich dem Genuss der Unabhängigkeit hinzugeben und jeden Tag aufs Neue mit einem Lächeln den Kicker zu treten. 

TK 6.10.25

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