18.01.15
Es klingt vielleicht komisch- “Abschied nehmen”-
vier Wochen auf dem offenem Meer von einem Kontinent zum übernächsten sollte wohl für eine Landratte genug sein. Die Spree, in noch seiner jüngsten, frischsten Form war so ziemlich das einziges Gewässer, was mein “Wasserzugang” in meinen ersten Lebensjahren versinnbildlichte.
Und nun bin ich innerhalb von 4 Jahren das zweite Mal auf einem Containerschiff und es fällt mir noch schwerer, Abschied zu nehmen.
Ich erinnere mich, das damals kurz vor Abstieg schon der Wunsch keimte, noch einmal eine Reise dieser Art zu unternehmen.
Nun steht mein zweites Beenden der Zeit an Bord an und es ist nicht weniger geworden, Sehnsucht nach dem Meer zu haben. Im Gegenteil. Ich empfinde eine erweiterte tiefe Verbundenheit zu den Elementen Wasser und Wind. In mir sind noch offene Fragen, die ich gern beim morgentlichen “auf die Wellen gucken” noch beantwortet oder erweitert gefunden hätte. Der Horizont um mich herum löst eine so magische Faszination aus, die ich gern weiter ergründen würde. Diese Entlastung, mich vorwärtszubewegen, ohne selbst aktiv werden zu müssen, ist eine unglaubliche Entschleunigung für mein Gemüt. Diese frische Luft trotz dampfender Schiffsmaschine ist so unverfälscht, wie ich es in meiner Lunge nicht kenne. Das Beobachten der stetig sich wandelnden und vergehenden Wellen, wo wirklich keine der anderen gleicht und alle miteinander verwoben scheinen, löst eine Ruhe in mir aus, die ich so nicht an Land kenne.
Das restliche Setting von abgenommenen Entscheidungen, weil selbst die Mahlzeiten drei Mal am Tag ohne Zutun serviert werden und es keinen Raum für großartige Sonderwünsche gibt, hat für diesen Zeitraum etwas entlastendes. Dank unseres flexiblen Kapitäns haben wir Passagiere freien Auslauf auf dem Schiff und können auch einfach stundenlang auf der Brücke sitzen und der Wache eines der Offiziere beiwohnen und seemännischen Einblick bekommen. Die Geräuschkulisse von piependen Apparaturen, das Tackern des Nageldruckers, der Griff zum Fernglas, das Checken der Seekarten ist ein Alltag geworden, der mit meinem sonstigen Leben wenig zu tun hat und doch fühle ich mich in dem Erleben hier auf eine Art “zuhause”. Ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte ich hiermit schon in den Jahren der Berufsfindung Kontakt gehabt.
Sicher gibt das Reisen mit dem Frachtschiff einen anderen Blick aufs Meer als diese schwimmende Insel als Alltag eines Seemanns-Arbeitsplatzes anzunehmen. Die Männer hier haben eine 7 Tage Woche, Schichten, unterschiedliche Arbeitsgebiete, rangordnungsangepaßte Verantwortungsfelder. Zeit für einen Landgang gibt es recht selten. Ein Feierabend bedeutet meist: Zeit für ein Bier oder zwei oder drei… Am Abend singen die Philippinos Karaoke, die Europäer gucken eher in ihrer Kammer stapelweise Serienstaffeln. Vielleicht geht auch von der Besatzung ab und zu mal jemand an die frische Nachtluft, um den Sternenhimmel zu bewundern. Doch wie es so ist- Vermissen setzt eher mit den Dingen ein, die einem nicht gewöhnlicherweise zur Verfügung stehen… Frauen, Entertainment, shoppen gehen können (selbst die Männer :)), gelebter Alltag mit der Familie. Auch Zeit bekommt hier eine andere Wahrnehmung, wenn es gewöhnlich ist, drei bis sechs Monate an Bord zu sein.
Wie anders sieht das “Leiden” der klassischen Landbewohner da manchmal aus. Wie schnell können Menschen genervt sein, wenn sie 10 min auf dem Nachhauseweg zur Familie im Stau stehen. Oder die Kinder schon wieder irgendwas wollen. Hier kann es leicht möglich sein, dass die Ablöse doch nicht kommt und man eben noch bis zum nächsten oder übernächsten Hafen ein paar Tage oder gar Wochen weiterfährt. Es steigt keiner ab, wenn nicht adequater Ersatz an Bord ist.
Das ist Perspektivwechsel für mich. Es fasziniert mich immer wieder, ein anderes “normal” zu erleben.
Die existierende Außenstruktur an Bord mit fixen Essenszeiten und einem auf 334 m Länge abgesteckten Auslauf mit viel zu gucken und wenig Alternativen zu tun, bietet einen Rahmen, sich schnell einzufügen und integriert zu sein. Ein Gefühl von Alltag, wenn auch ein ganz anderer. Es fühlt sich hier “sicher” an, auch wenn das eher der Struktur und Routine zuzuschreiben ist, als das es wirklich in meinen Auge mit Überlebensgegebenheiten auf offener See einhergeht. Und trotz alledem oder gerade deswegen empfinde ich eine Nähe zur Natur und zum puren Existieren, was Saiten in mir zum Klingen bringt, die wunderbar sind, auch mal zu hören.
Ich habe das Gefühl, dass es mir den Raum für ein “settle down” bietet, ein Sacken lassen, ein zur Ruhe kommen, ein nach Innen gehen, ohne zu müssen. Es ist für mich eine Brücke, “Entspannung” und freie Zeit zu haben, die mich wie von ganz alleine an Stellen in mir kommen lässt, wo sonst nicht grundgegebenerweise der Raum dafür ist. Es kommen relativ wenig neue Reize rein, um dass der Input, der schon vor kurzer oder langer Zeit “eingetroffen” ist, nun in mir seinen Platz finden kann oder befriedet. Es ist wie ein Umsortieren, dem Wind mitgeben oder “über Bord werfen”. Das klingt jetzt aktiver, als ich es tatsächlich empfinde. Es ist wie ein stiller Prozess, ein cleaning up, was die Rahmenbedingungen bieten, um dass es sich in mir wie von allein vollzieht. Mein aktivster Anteil ist am ehesten, zuzulassen. Es kommen und gehen zu lassen wie Wolken, die vorbeiziehen, ganz so, wie man es in verschiedenen Meditationstexten lesen kann. Hier kann ich auch ganz praktisch einfach vorn am Bug liegen und mal wirklich den Wolken zugucken und sehen, wie sie kommen und gehen. Denken und nichts denken. Es ist wie ein inneres Eintauchen in all das, was da ist. Und nichts zu wollen. Nicht mal zu wollen, nichts zu wollen.
Und bei all dem entsteht in mir ein Frieden. Frieden, der still ist. Frieden, der nichts an Klarheit einbüßt. Frieden, der so von innen in mir hochsprudelt, weil von außen nicht so viel reinkommt. Mehr Raum ist da für Impulse und Kreativität von innen.
Also kann ich in keinster Weise bestätigen, dass es hier langweilig ist (eine der häufigsten gestellten Fragen vor meiner Schiffsreise). Innen gehen noch genug Filme ab. Ich mag es, mir anzugucken, was da noch los ist in uns, wenn es nicht mit vielen Reizen von außen zugepackt wird. Kein Verkleistern und Verkleben von dem, was in uns liegt. Ich liebe es, wahrzunehmen, was um mich rum ist und im bloßen Beobachten auf Antworten zu kommen, deren Fragen ich mir noch gar nicht gestellt hatte.
Ich koste sicher nur ein bisschen von diesem Frieden. Ich könnte mir vorstellen, Mönche, die viel meditieren, haben diese Verfassung als stetige Grundstimmung in sich.
Ich glaube für mich zu entschlüsseln, dass gerade das äußere Vorwärtsbewegen des Schiffes es mir ermöglicht, innen diese andere Art der Ruhe zu finden. Mitten in meine Abschiedsstimmung zu diesem Erleben hier an Bord und dem Ausblick auf all den vor mir liegenden Entscheidungen (welche Stadt, welches Hostel, welche Aktivität, welches Essen…) beginnt eine Neugier, wie es nachklingen wird, wenn ich CMA CGM Hugo nicht mehr mein Zuhause nenne.
Wird das Meer und all die unzähligen Wellen, die ich gesehen habe, weiter in mir wohnen? Werde ich den Frieden bewahren können- und sei es als Erinnerung- und werde ich in einer ganz anderen Situation dazu wieder Zugang finden können? Wird das Meer mich wieder rufen, noch einmal und noch einmal auf diese Art zu verreisen und wochenlange Seemeilen statt kurze Flugstunden zu bevorzugen? Habe ich mittlerweile genug Meer in mir, um es mit mir an Land nehmen zu können?
Vielleicht ist ja auch daran was sehr wahres: Der Weg ist das Ziel. Und er beginnt mit der ersten Seemeile…
Liebe Tina, deine Ruhe kommt rueber. Es fuehlt sich beim Lesen so an, als wuerdest du jedes Wort kuessen, bevor du es aufschreibst.