
Manche aufrecht sitzenden Patient*innen (ja, die gibt es wirklich) sind erstaunt, dass sie kein Lob für ihre Haltung von mir bekommen, sondern in ihrem Fall eher das Einrollen und Beugen der Wirbelsäule mit ihnen betone. Therapeuten finden immer irgendetwas und sind nie zufrieden 😉 –kleiner Scherz.
Die wahre Flexibilität liegt in der Möglichkeit zwischen Aufrecht und Eingerollt sein, sich in dieser vollen Amplitude ungehemmt bewegen zu können. Frei ist, Ja und Nein sagen zu können. https://blog.tina-knape.de/2023/11/08/ja-und-nein/ Gesund ist, die gegenläufigen Bewegungen in beide Richtungen gleichermaßen wohlig auszuführen.
Somit geht es nicht darum, dass stetig alle aufrecht sitzen sollen. Aufgrund der Schwerkraft neigt der Großteil der Menschen dazu, eher nach einer Weile rund zu sitzen und in sich zusammen zu sacken. Deswegen kommt es einem so vor, als ziele jede Übung immer auf Aufrichtung ab. Doch es gibt auch die Patient*innen, die zu gerade, zu durchgestreckt, zu aufrecht sind (beobachten Sie beispielsweise Ballerinas, Pianistinnen und Turner). Die Zu-Aufrechten sind in der europäischen Gesamtbevölkerung in der Unterzahl. Doch kommen sie als Patient*innen in die Praxis, beübt ein wachsamer Therapeut oder eine geschulte Trainerin auch da die eingeschränktere Richtung — in dem Fall das Runden beim Sitzen.
Somit nenne ich es das Ausgleichsprinzip. Wenn Beugung gut geht, ist es vermutlich sinnvoll, die Streckung zu beüben. Wenn eine Patientin mit Kraftübungen als Powerfrau gut klar kommt, dann lohnt es sich, ihre Mobilität und das Weich werden unter die Lupe zu nehmen und darauf den Schwerpunkt zu legen. Wichtig ist, zu berücksichtigen, dass wir alle unsere Schokoladenseite haben und auch unterschiedliche Talente tragen. Doch schert eine Fähigkeit zu weit von der Gegenbewegung ab, ist es wesentlich, für Balance zu sorgen. Ist die Mitte aus dem Lot, entwickeln sich leicht Symptome oder Schmerzen.
Stellen Sie sich eine Wippe vor. Sie kippt stetig, je nach Gewichtsverlagerung, hin und her. Sie ist symmetrisch gebaut, beide Hebelarme sind gleich lang. Wenn der Kipppunkt nicht in der Mitte angebracht und eine Seite deutlich länger gestaltet wäre, fiele das Wippen völlig unausgewogen aus. So ist es auch in unserem Körper nötig, für Symmetrie in der Beweglichkeit zu sorgen.
Wenn wir dieses Ausgleichsprinzip größer zoomen, dann geht das auch auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Gesund ist, immer wieder eine Mitte zu finden. Wenn Ihr Leben durchgetaktet ist und viel Struktur beinhaltet, kann es in der freien Zeit sehr erholsam sein, sich in seinem eigenen Flow zu begeben und Terminfreiheit zu genießen. Wenn Sie viel sprechen, kann es ausgleichend ganz wunderbar sein, mehr zu schweigen. Wenn Sie eher viel drinnen sind, heißt Ausgleich in Ihrem Fall vielleicht, mehr Zeit draußen zu verbringen. Wenn Ihr Berufsalltag eher diszipliniert und bewegungsarm ist, kann eine expressive, intensive Sportart ein gelungener Ausgleich in der Freizeit sein. https://blog.tina-knape.de/2019/03/30/wege-des-ausdrucks-ausdruck-als-weg-2/
Wo in Ihrem Leben kippt das Lot ausgeprägter auf eine Seite — körperlich wie mental? Was ist Ihre Gegenbewegung, wie Sie für Balance sorgen? Wenn Sie beispielsweise viel geben, wo nehmen Sie dann? Sind Sie sich gewahr, wie Sie für Ihren inneren und äußeren Ausgleich sorgen? Wissen Sie, wo Ihre Mitte ist?
Ich wünsche Ihnen eine ausbalancierte Woche!