Der innere Antreiber

Kennen Sie das? In Ihrem Kopf oder auf Ihren Schultern gibt es Stimmchen, die Ihnen gute Ratschläge erteilen und Sie nicht zur Ruhe kommen lassen? Sie wollen eigentlich nur ruhig sitzen und durchschnaufen, doch irgendetwas hält Sie immer auf Trapp? http://blog.tina-knape.de/2022/08/04/das-glas-abstellen-koennen/

Wenn man diese Unruhe oder Stimmen besser kennen lernt und ihnen zuhört, kristallisiert sich recht schnell ein Kamerad der besonderen Art heraus: Der Antreiber. Er oder sie ist ein meist sehr gut ausgebildeter, erfahrener, alt-eingesessener, wacher, cleverer Gesell, der gute Argumente im Gepäck hat, warum wir “was auch immer” ständig machen sollten. Nicht aktiv sein wird hingegen von ihm direkt als “faul” übersetzt. Und faul sein ist in seinen Augen ein schlechter Charakterzug, der einen bekanntermaßen nirgendwohin bringt. http://blog.tina-knape.de/2014/11/29/nichtstun-oder-vollsein/

In einer Therapiestunde mit einer stets aktiven, nie runterfahrenden Patientin hatte ich neulich das Bild eines Ruderbootes. In dem sitzt meine Patientin und paddelt. Gar nicht immer wild und heftig, dafür konstant und kontinuierlich. Ausruhen? Gibt es nicht.

Ihr Antreiber sitzt mit an Bord und ist ein Typ der Kategorie: nett anzusehen, hübsch gekleidet, smart. Stets gibt er gute Tipps und Anweisungen, wie die Patientin doch auch in ihrem Urlaub die Zeit sinnvoll nutzen soll, sei es zum Aussortieren oder um die Wohnung zu verschönern oder den nächsten Arbeitsstoff “in Ruhe” schon einmal vorzubereiten. Schließlich hat sie doch jetzt Zeit und sie mag es doch auch, wenn hinterher alles in bester Ordnung ist und voller Klarheit strahlt. Einfach “nichts” tun wird hingegen als negativ bewertet. Sie sei doch nicht faul, nur so rumsitzen geht doch nicht. Irgendetwas zu tun, findet sich doch immer.

Und so bequatscht er sie, charmant, eloquent und argumentativ. Selbst bei der kleinen Rudertour auf dem See motiviert er sie, nochmal eben ein Stück weiter zu rudern, weil sie doch von dort noch schöner den wohlverdienten Sonnenuntergang genießen kann, als sich jetzt “einfach so” mitten im See treiben zu lassen.

Der Antreiber hält sie stetig auf Zack und lässt sie die Ruder nie loslassen. So subtil dominant, wie er ist, stellt er gar in Frage, wenn jemand anderes einmal das Ruder übernehmen will. Die Sehnsucht in ihr nach “Abgeben” und sich auch ab und zu ohne Anstrengung ein Stück des Weges rudern lassen, ist groß. Gerade in Beziehungsdingen wäre es doch so wunderbar, auch einmal fallen zu lassen. Doch in der Umsetzung argumentiert ihr Antreiber recht geschickt. Er kennt sie schließlich schon lange und sehr gut und weiß nach all den Jahren genau, dass es besser ist, immer weiter und weiter zu rudern. Der Antreiber sagt so Sachen wie: Hab es lieber selbst in der Hand. Behalte die Kontrolle, nur dann bist Du sicher. Bleib immer in Bewegung. Willst Du Dich etwa wieder enttäuschen lassen, wenn Du jemanden anderen das Ruder überlässt?

Kommt Ihnen so etwas bekannt vor? Haben Sie auch so einen Antreiber an Bord? Quatscht Sie auch in den unmöglichsten Momenten — kurz vorm Einschlafen, an einem freien Nachmittag, selbst beim Kaffee, den Sie nun wirklich in Ruhe genießen wollten — jemand aus dem Hintergrund voll, stiftet Unruhe und vermiest Ihnen Ihre angestrebte und wohlverdiente Entspannung? Mütter kennen diese Anteile häufig laut in sich. Irgendetwas gibt es immer zu räumen und zu putzen. Selbst wenn die Kinder nicht da sind, ist “Beine hochlegen” schwer erlaubt. “Die Zeit nutzen, wenn schon einmal Ruhe im Haus ist” ploppt viel häufiger auf. Schließlich kommt man ja auch sonst nie dazu. Sich aktiv eigenen Raum ohne “Nutzen” zu nehmen, dabei auch noch ohne schlechtem Gewissen — eine große Übung! Den Gedanken müssen manche erst einmal in sich erlauben. http://blog.tina-knape.de/2020/02/14/der-mehrwert-der-selbstfuersorge/ Eine lohnenswerte Übung ;).

Um mit dem Antreiber anders umgehen zu können, braucht es als erstes die Wahrnehmung dafür. Wann säuselt er einem etwas ins Ohr? Wann quatscht er laut und deutlich die immer gleichen Antreiber-Sätze, die in dieser Situation aber vielleicht vollkommen unbrauchbar sind? Wie geschickt ist er? Auch der Antreiber hat durchaus seine Berechtigung, schiebt einen durch Prüfungen, motiviert einen zum Durchhalten bei der Masterarbeit. Doch beim Runterfahren und Ruhe genießen im Café ist er eine wirklich unbrauchbare Gesellschaft. Da darf man ihn auch mal auf einen Platz hinten links verweisen und “Klappe halten” zurufen, wenn er selbst von diesem Platz aus wieder reinquatschen will.

Meist ist der Kerl eh stark und trainiert und kommt bei nächster Un-Gelegenheit wieder mit einem tollen Tipp um die Ecke. So leicht verprellt man ihn (leider) nicht. Es braucht eher ein Umgehen mit ihm, wann er seine Daseinsberechtigung und zielführende Aufgabe hat — und wann es einfach auch gut ist, sich eine Pause zu gönnen. http://blog.tina-knape.de/2020/10/22/mach-mal-pause/

Meine Empfehlung: Lernen Sie Ihren Antreiber besser kennen und durchschauen Sie sein Ziel. Will er Sie wirklich gerade voranbringen oder gönnt er Ihnen die Ruhe nicht?

Schönes Wahrnehmen, Begegnen und inneren Platz zuweisen.

Ein Kommentar zu “Der innere Antreiber

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