Homeoffice und Ergonomie

Foto: Ana G.

Zwei Jahre der Pandemie-Regeln haben einiges verändert. So auch die Arbeitssituation vieler Arbeitnehmer. Und daher lautet die Frage zum Thema “Beruf” beim Erstbefund in der Praxis neuerdings etwas anders.

Normalerweise war für viele Berufszweige, die ihre Arbeit an einem Schreibtisch verbringen, die Antwort auf “Was machen Sie beruflich?” ein schlichtes: “Büro”. Nun ist in den meisten Fällen ein “Ich bin im Homeoffice” die übliche Antwort. In diesem Wort steckt so viel mehr, als dass jemand seine Arbeit einfach nur von Zuhause erledigt und die lästige Fahrt zum Arbeitsplatz entfällt. Was sich aus einer neuen überraschenden Situation des Lockdowns im Frühling 2020 ergab, hat in vielerlei Hinsicht noch keine ausreichende Korrektur, Integration und Anpassung in Sachen Arbeitsplatzgestaltung erfahren.

In der Arbeitsmedizin gibt es das Feld der Ergonomie. Jeder, der an einem Schreibtisch arbeitet, weiß: Es gibt Regeln, wie so ein Arbeitsplatz aussehen sollte. Beispielsweise muss der Stuhl zum Schreibtisch passen. Es werden Fragen berücksichtigt wie: Wie viel (oder wenig) Lichteinfall ist auf einem Bildschirm noch gesund für die Augen? Wie sollten die Arme aufliegen, um eine Überlastung der Sehnen der Unterarme vorzubeugen? Wie viel Luftfeuchtigkeit oder gar Frischluft ist gegeben und wird empfohlen? Wie ist die optimale Raumtemperatur? Wie stark ist im besten Fall der Geräuschpegel drumherum?

In der Realität ist aus der spontanen Notwendigkeit vor 2 Jahren, nun alles möglichst kontaktlos von zuhause zu erledigen, in den meisten Homeoffice-Haushalten aus dem Küchentisch oder der Nische im Gästezimmer ein Büroplatz geworden. In diesem Zusammenhang hatte jeder Betroffene als Single, Pärchen oder Familie zusätzliche neue Herausforderungen zu arrangieren. http://blog.tina-knape.de/2020/04/23/keine-pause-in-der-pause/

Doch Mensch sein heißt auch, flexibel zu sein und kompensieren zu können. http://blog.tina-knape.de/2021/01/20/kompensieren-und-sich-selbst-dabei-auf-die-schliche-kommen/ Dies gilt normalerweise nur für eine überschaubare, begrenzte Zeit. Dem entgegen steht der schlecht beleuchtete und belüftete Kellerraum als Homeoffice-Rückzugsort ist, die im Wohnzimmer tobenden Kids oder wenn die Partnerin in ihrem Job täglich Telefonate und Online-Chats mit Kollegen und Kunden hat – bis heute.

Da immer mehr Homeoffice-geplagte Patienten in den Physio-Praxen auftauchen, doch von Arbeitgeberseite aktiv nicht so viel zu hören ist, wird es Zeit für ein paar Basistipps.

  1. Der Stuhl sollte zum Tisch passen. Grundsätzlich sind die Gelenke an den Beinen (Hüfte, Knie, Fuß) optimalerweise in einem 90 Grad Winkel- und im besten Fall die Hüfte höher als die Knie (leicht abfallende Oberschenkel).
  2. Eine gesund unterstützende Rückenlehne am Stuhl (Lordosenstütze) ist sinnvoll. Einen aktiven, korrekten Sitz hält niemand über Stunden, nicht einmal der motivierteste Physiotherapeut ;). Sich entspannt und aufrecht anlehnen zu können, ist für eher monotone Arbeitshaltungen und viel kopflastige Arbeit ein echtes Muss. http://blog.tina-knape.de/2020/12/16/gib-dem-stuhl-seinen-job-zurueck/
  3. Im besten Fall hat Ihr Stuhl Armlehnen, auf denen das Eigengewicht der Arme abgelegt werden kann und somit unnötige Spannungen vermieden werden. Außerdem muss die Tischplatte groß genug sein, um ausreichend Platz für Ihre Hände nebst Maus und Tastatur inklusive Auflagefläche zu haben. Sehnenscheidenentzündungen der Unterarme, einschlafende Hände und Finger kommen aus diesem Grund deutlich häufiger vor. Das Zusammenspiel von einem verspannten Schulter-Nacken-Bereich und verspannten Armen potenziert sich doppelt. http://blog.tina-knape.de/2019/08/09/fuer-zuhaus-bei-schulter-nacken-beschwerden/
  4. Der Abstand zwischen Bildschirm und Augen sollte ca eine Armlänge betragen. http://blog.tina-knape.de/2019/04/28/augenuebungen-fuers-buero/
  5. Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur, Art des Lichtes, Geräuschkulisse, Pausenzeiten sind zusätzliche Faktoren, die Beachtung bedürfen.

Die Ergonomie ist in den letzten beiden Jahren sehr ins Hintertreffen geraten. Ich bin erstaunt, dass noch immer keine flächendeckende Aufmerksamkeit von Arbeitgeberseite stattgefunden hat. Es ist ein wichtiger Baustein zum Schutz vor unnötigen Beschwerden und Krankheitstagen auf Grund von motorischer Monotonie, fehlender Bewegung, krummen Sitzen über zu langer Zeit. Das Wissen dazu ist da, die Umsetzung lahmt. Und das sind nur die körperlich-mechanischen Aspekte. Beleuchtet werden könnten weiterhin die Sozial-emotionalen. Auch: Wann ist eigentlich Feierabend, wenn es auch räumlich verklebt ist?

So wie sich ein Handwerker einen hochwertigen Winkelschleifer für seine Arbeit auswählt und wir Therapeuten mit einer höhenverstellbaren Behandlungsbank arbeiten, so stellen Stuhl und Tisch einen wichtigen Aspekt für all die Arbeiten dar, die unter “Bürotätigkeit” zusammengefasst werden. In einen hochwertigen Bürostuhl mit passendem Tisch für zuhause zu investieren oder den Stuhl aus dem unbesetzten Büro mit nach Hause zu nehmen, wird jetzt höchste Zeit. Kompensieren war gestern, einen körperfreundlichen Arbeitsplatz gestalten, ist heute!

Ergonomie und Arbeitsschutz sind Prophylaxe. Bevor Sie Termine beim Physiotherapeuten brauchen, sorgen Sie lieber vor. Investieren Sie in ein “gesund bleiben”. Dafür ist ein für Sie optimaler Stuhl ein wunderbarer Ausgangspunkt.

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