Kompensieren — und sich selbst dabei auf die Schliche kommen

Foto: Michael Krebs

Die Welt der Kompensation ist bunt und komplex. Vor einiger Zeit habe ich dazu schon das http://blog.tina-knape.de/2019/05/11/ein-hoch-auf-die-kompensation/ geschrieben.

Egal, ob bei Alltagsbewegungen oder gezielten Trainingseinheiten. Es geht um den Fokus und darum, die Aufmerksamkeit auf das WIE der Ausführung zu lenken. Jegliche Aktivierung von Muskeln, ob Sie einen Topf vom Herd zum Tisch tragen oder mit Hula Hoop- Training beginnen: Sie können dabei wohlig aktivierend und gut wahrnehmend ein super Training absolvieren — oder sich dabei (verzeihen Sie die Wortwahl) selbst bescheißen, indem Sie in Ihren gewohnten, bequemeren Bahnen bleiben. Kommen Sie sich also selbst auf die Schliche!

Hierfür braucht es eine gute innere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, um zu spüren: Kommt die Bewegung und Spannung da an, wo sie auch sein soll? Wissen Sie, was die Zielsetzung der Übung am Seilzug oder im Stütz im Vierfüßlerstand ist? Wo spüren Sie einen Effekt? Und wenn Sie nur einen Hauch Ihr Becken korrigieren oder Ihr Bein 5 cm weiter nach hinten führen — was für Auswirkungen hat das?

Im besten Fall treffen Sie auf eine/n Therapeut/in und Trainer/in, deren Feedback auch darin besteht, Sie auf die “typischen Ausweichtricks” hinzuweisen und Sie im Selbsterlebnis spüren zu lassen, auf was es wirklich ankommt. Ich nenne das manchmal: B-Note beachten! Um eine Übung zu steigern, braucht es nicht nur mehr Gewicht und eine höhere Wiederholungszahl. Manchmal ist es im Stand nur ein minimales Kippen des Beckens nach hinten, ein bewusstes Platzieren der Schulterblätter oder ein kleines Strecken des Nackens in die Aufrichtung, damit ein vollkommen anderen Effekt mit der Übung erzielt wird. Ihre Präsenz während der Übung (während der Behandlung, während eigentlich allen anderen Dingen) bringt eine andere Fülle in das Hier und Jetzt. Und damit lässt sich auch noch die Intensität steigern. Erweitern Sie mit Gespür Ihre Variablen.

Das alles kann man natürlich auch auf die emotionale Ebene übertragen. In manchen Bereichen unseres Handelns und Argumentierens wissen wir sehr wohl, wann wir uns gerade selbst eine Situation zurechtbiegen und die Augen davor verschließen, was da alles im Argen liegt. Auch bei der Arbeit mit dem Geist ist es gut, uns selbst auf die Schliche zu kommen. So wie meine Patientin (eine Yogalehrerin) ihre feste Brustwirbelsäule mit zu viel Mobilität in den Schultern kompensiert (und es kaum zu bemerken ist, wenn man nicht wachsam zuschaut), so gibt es hilfsbereite Versorger-Typen, die damit die Vernachlässigung ihrer eigenen Grundbedürfnisse kompensieren und so immer mehr aus ihrer Balance geraten. Dafür ist ein Gegenüber hilfreich. Jemand, der uns spiegelt und reflektiert, um die eigenen blinden Flecken (und Gewohnheiten) zu durchschauen und zu berücksichtigen — egal, ob beim Sport oder in unserem emotionalen Miteinander.

Der erste Effekt ist manchmal natürlich nicht nur angenehm. Mit einer guten Korrektur der Übung wird es mit einem Schlag auch mal super anstrengend, die angepeilte Trainingszeit durchzuhalten. Manchmal piekst es im Herzen, wenn einem jemand Feedback gibt zu dem, was man zwar weiß, aber so nicht hören wollte. Doch beide Ebenen bieten uns die Plattform, um zu wachsen, wacher und bewusster zu werden und dazuzulernen.

Und nichtsdestotrotz: Gelegentlich ist das Eingehen darauf, dass mehr oder “anders” gerade nicht geht, genauso okay wie ein bewusstes Ja zur Kompensation. Das darf auch mal so sein. Und das zu spüren bzw. zu wissen, sorgt für ein verändertes WIE.

Und Sie so? Wobei kommen Sie sich selbst beim Lesen gerade auf die Schliche? Welche bewussten oder unbewussten Kompensationen werden Sie gewahr?

Take care.

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