Eine Einladung zur inneren Weite auf Spiekeroog

Der versprochene Blogpost, der von der Weite Spiekeroogs berichten sollte, wird weniger vom weiten Blick von der Insel aufs Meer berichten — stellt sich nun heraus — sondern hat viel mehr mit der inneren Weite zu tun.

Ich habe wieder einmal die Erfahrung machen dürfen, dass es wunderbar ist, auf dieser Insel zu sein und Behandlungen bei Urlaubern und Insulanern gleichermaßen anzubieten. Wer auf eine ostfriesische Insel wie diese fährt, trifft eine bewusste Entscheidung. Vor allem im Herbst beobachte ich vor Ort seit den letzten Jahren, dass es besondere Menschen hierher lockt. Ich bin sehr dankbar, auch durch meine Arbeit an der Behandlungsbank, einen Zugang dazu zu bekommen, an persönlichen Lebensgeschichten teilhaben zu dürfen. Ich darf hören und zusehen, wie Menschen sich in dieser Auszeit vom Alltag ihrer Historie, ihrem Schmerz, ihren prägenden und essentiellen Ereignissen im Leben stellen und dafür Raum finden und sich nehmen.

Vielleicht lädt diese Insel dazu ein, eine andere Tiefe zuzulassen und sich innerlich auf eine andere Ebene zu begeben, als es sonst in einem vollgepackten Alltag möglich ist. Den dort finden bestimmte Themen rund um das Leben und Sterben nicht immer Platz. Und doch klopfen sie an — und auf Spiekeroog dürfen sie sich bei vielen Klienten entfalten, im Innen mehr Raum einnehmen und Weite etablieren.

Ich bin sehr dankbar, dieses Jahr wieder einmal tolle Behandlungen und wunderbare Begegnungen erlebt zu haben. Menschen, die sich öffnen, die sich mitteilen, die die Fähigkeit haben, mir und damit auch sich und anderen Vertrauen zu schenken; die den Mut finden, sich ihrem Schmerz zu stellen und ihre Geschichte tragen… Von verstorbenen Kindern, von schlechtem Timing im Leben, vom Lebenswandel mit neuen Partnern, von einschneidenden Erkrankungen, von Sehnsüchten, die manchmal nicht zu erfüllen sind…

Als ich mir vornahm, über Spiekeroog zu schreiben, stellte ich mir eher einen Reisebericht vor. Nun aber kristallisiert sich heraus, dass ich während meiner Insel-Woche vielmehr auf innere Reisen gegangen bin, als äußere Welten zu begehen. Genau dafür ist Spiekeroog in Gänze die perfekte Insel und lädt ihre Gäste (vor allem im Herbst) zu mehr als “nur einen Strandspaziergang” ein. Spiekeroog bietet uns Raum, einen inneren Kontakt herzustellen zu Anteilen, denen wir sonst eben nicht so viel Zeit und Raum für das eigene Gehör schenken (können). Somit handelt diese Inselzeit für mich eher vom Berührt-sein, vom Weiten, vom Zulassen und vom Spüren, vom Ausgleichen, vom Balance suchen. Weniger vom “Wegnehmen” und “Etwas besser machen”, als viel mehr vom Hinzufügen, um für inneren Ausgleich zu sorgen.

Auch in mir sorgt diese Form der Arbeit und Zeit bei verschiedenen Workshops oder an der Behandlungsbank für mehr Weichheit und großes Mitgefühl dafür, was Menschen für Geschichten tragen — und welch Würde dabei besteht.

Auch den Liedtext von “Wir sind Helden” hatte ich wieder im Ohr:
http://blog.tina-knape.de/2019/05/03/du-hast-es-gefunden/

Wie häufig wissen wir gar nicht, was Menschen tragen. Wir können ihnen nicht ansehen, nicht einmal ahnen, wie prägend deren Lebenslauf schon war. Auch das zeigt auf, dass es sich immer wieder lohnt, Leuten freundlich zu begegnen, denn wir wissen nicht, in was für einer Lage sie sich befinden und was da innendrin alles los ist und war.

Und somit: Danke an alle, die sich mir gegenüber geöffnet haben. Danke an die Möglichkeit, so arbeiten zu dürfen. Danke an diese Insel, die die richtigen Menschen anzieht. Danke, dass die Insel mit ihrer Natur und zum Teil ihrer Ausstrahlung von Unberührtheit dabei hilft, Stück für Stück verschiedenen inneren Anteilen in uns seinen Platz einzuräumen. Ohne gleichzeitig den Anspruch zu haben, dass alles seinen Platz hat und findet — vielmehr ist es ein Sortieren, kein Wegschaffen oder Wegräumen. Eher ein Zulassen und Raum geben. Dafür ist es die ideale Insel.

Mögen wir es schaffen, diese Aspekte auch im Alltag einzubauen und uns mit der inneren Weite zu verbinden. In Zeiten wie diesen sind Inseln besonders zum Zulassen geeignet- und gleichzeitig Beispiele dafür, was in uns alles möglich ist. Körperwahrnehmung kann ein wunderbarer Schlüssel dazu sein.

Ein Kommentar zu “Eine Einladung zur inneren Weite auf Spiekeroog

  1. Annett Paul

    Ich glaube, gerade in schwierigen Lebenssituationen bieten so eine Insel bzw. das Meer 🌊 allerhand. Man kann seine Sorgen sprichwörtlich mit den Wellen ein Stück davontreiben lassen, zu sich finden, sich sammeln und neu ordnen. Diese Möglichkeit ist dabei auch vollkommen wetterunabhängig – egal ob Sonnenuntergang oder stürmische See. Irgendwie lässt sich immer ein passendes Gleichnis zur aktuellen Stimmungslage finden.

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