Einfach mal andersherum

Neulich konnte mein Sohn nicht gut einschlafen, weil er das Gefühl hatte, es kämen gleich komische Träume. Mein Lösungsansatz war: “Dann musst Du Dich andersherum ins Bett legen. Das hilft.”

In seinem Fall war das noch nicht die finale Lösung, doch in der Therapie hilft eine veränderte Ausgangsstellung ungemein! Da ich ganz frisch in einer neuen Praxis mit vielen unfallverletzten Patienten arbeite, lohnt sich auch der Impuls zur Abwechslung. Durch die verletzungsbedingt-komplexen Beschwerdebilder bekommen die Patienten eine höhere Therapiefrequenz verschrieben. Daraus resultiert eine Vielzahl wechselnder Therapeuten, was ein guter Impuls sein und dazu beitragen kann, nicht so leicht in eine klassische Monotonie bei der Therapie zu rutschen. Und doch passiert es. Ein Raum mit einer Behandlungsbank in der Mitte animiert, sich direkt auf den Rücken zu legen und “wie immer” loszulegen. Mittlerweile konnte ich einen neuen Schulterpatienten zu einer anderen Wachsamkeit anleiten. Beim Vorab-Besprechen, wie es ihm geht, bleibt er erstmal stehen und danach entscheiden wir zusammen, welche Ausgangsstellung gerade erstrebenswert und vorteilhaft ist. Liegt der Patient beim Behandeln stets auf dem Rücken, nutze ich tendenziell immer ähnliche Behandlungstechniken. Liegt er hingegen mal auf der Seite oder auf dem Bauch oder stützt sich sogar im Vierfüßlerstand, kommen neue Reize und Aktivierungen zustande.

Es gibt ein therapeutisches Grundprinzip, Punctum fixum und Punctum mobile wird umgekehrt. Ein Beispiel: Typischerweise bewegt man den Arm offen im Raum, um z.B. zu einer Tasse im Regal zu greifen. Der Arm bewegt in unseren Alltagsfunktionen viel in der sogenannten offenen Kette. Interessant und eine vollkommen andere Herausforderung ist es wiederum, in der geschlossenen Kette den Arm und die Schulter zu bewegen. Halten Sie sich mal mit der Hand an einer Stuhllehne oder einem Geländer fest und gehen Sie mit den Füßen rückwärts. Dabei passiert auch einiges in der Schulter, denn durch die weiterlaufende Rumpfbewegung wird auch die Schulter bewegt. Dabei werden der statische Teil (Punctum fixum) und der bewegliche Teil (Punctum mobile) andersherum verwendet. Das bringt einen ganz anderen Bewegungsimpuls! Ein anderer Zug und ein veränderter Hebel entsteht. Sowohl in der Mobilität als auch in der Kräftigung schafft dies eine wunderbare Abwechslung. Strukturen werden von der “anderen Seite” angesprochen.

Letztlich bringt jeglicher Wandel auch immer eine Veränderung in einen eingeübten und eingetretenen Pfad. Auch damit begeben wir uns aus unserer Übungs-Komfortzone heraus. So bringt ein neuer Mitarbeiter frischen Wind ins Team sowie in Sicht- und Herangehensweisen. Es ist ein spannender Auftrag, mal Dinge und auch Teile des Trainings andersherum auszuführen.

Unsere Beinmuskulatur beanspruchen wir im Alltag vor allem in der geschlossenen Kette. Deswegen ist ein Training der Beine ohne Bodenkontakt (was zusätzlich häufig auch ganz anders die Rumpfmuskulatur beansprucht) auch eine sinnvolle Abwechslung oder Möglichkeit, eine Beanspruchung zu variieren. Zusätzlich lässt sich durch die Auswahl der offenen oder geschlossenen Kette eine andere Intensität bewerkstelligen.

Fazit: Wenn sich in der Behandlung oder im Training, selbst bei den Eigenübungen zu Hause, eine Langeweile und das Gefühl von “es geht nicht mehr vorwärts” einstellt: Probieren Sie es einfach mal andersherum! Drehen Sie die Aktivierung um. Zum Beispiel wischt nicht die Hand über den Tisch- sondern der Bürostuhl fährt vom Tisch weg, während die Hand liegen bleibt. Beides wird im Arm, in der Schulter, im Nacken, in der Brustwirbelsäule ankommen – der Effekt könnte ein ganz anderer sein.

Bleiben Sie wach im Körper. Nutzen Sie andere Ausgangsstellungen, um die gleichen Muskeln mit einem anderen Reiz anzusprechen. Fahren Sie einen anderen Weg nach Hause, als Sie gewöhnlicherweise nehmen. Nehmen Sie beim Badminton mal den Schläger in die andere Hand. Gehen Sie mal rückwärts auf dem Laufband… Und wenn Sie nicht gut einschlafen können: Legen Sie sich einfach mal andersherum. Vielleicht klappt’s dann ja besser ;).

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