Laufen mit Gespür

Neben neuen Hobbies wie Brotbacken hat die Corona-Welle bei vielen Menschen eine neue Begeisterung für das Laufen hervorgebracht – und damit neue Patienten erzeugt. 

Während meiner Zeit in Hamburg war das Lauf-Eldorado an der Alster eine wahre Herausforderung und ein Vergnügen zugleich für meine Physio-Augen.

Bewegung ist Leben und so haben Menschen jedes Alters die Freude und den Ansporn eines für sie neuen Sports und Fortbewegungsmittels erkannt. Es freut sich natürlich jedes Therapeutenherz über die vielseitigen Motive von Menschen, joggen zu gehen. Gleichzeitig gibt es Laufstile, Muskel(an)spannungen und Laufschuhe, die wiederum Stirnrunzeln und “Ojemines” bei mir auslösen. Und leider nicht nur das, sondern erste Freunde könnten zu Patienten werden, weil sie etwa über Knieschmerzen klagen. Deswegen heute hier auf Wunsch ein paar grundsätzliche Tipps:

  • Wie bei jeder körperlichen Belastung, ist es sinnvoll, ein gutes Gespür dafür zu entwickeln, was der Körper zurückmeldet. http://blog.tina-knape.de/2019/11/01/was-erzaehlt-der-koerper-da-gerade-botschaften-lesen-lernen/ Es ist wichtig, hinzuhören und -zuspüren, was sich noch stimmig anfühlt und bei einer neuen Belastung ein Stück weit eventuell auch als Schmerz dazugehört, und was über das Ziel hinausgeschossen ist.
  • Dosierung ist ein wesentlicher Punkt. Wenn man beginnt, einen Turm aus Holzbausteinen zu bauen, gilt: Stein auf Stein damit anfangen. Erst mit ein bisschen Übung und Geschick gelingt es, richtig hohe, monumentale Bauwerke zu errichten. So braucht auch das Laufen ein allmähliches Ausprobieren und Steigern, bevor man sich an lange Strecken wagen oder gar einen (Halb)Marathon in Betracht ziehen kann. Es ist empfehlenswert, mit gesundem Menschenverstand allmählich die Belastung zu steigern und folgende, verschiedene Variablen zu berücksichtigen: Wegstrecke, Routenverlauf (Berg und Tal), Herzfrequenz, Geschwindigkeit, Beschaffenheit des Untergrunds, Tagesform- und Tageszeit, Spannkraft, Sättigung (mit Wasser, Nahrung, aber auch mit Sauerstoff), Wetterlage… Das alles sind Komponenten, die es zu beachten gilt, weil jeder Aspekt etwas zu einem Gesamtergebnis beiträgt.
  • Oft beobachtet: Gute Beckenstabilität ist essentiell. Um den Rumpf zu tragen und die Beine in flott-lockerer Bewegung vorwärts zu bringen, muss das Körperzentrum gut zusammenarbeiten und Halt und Stabilität gewährleisten. Wenn der Körper sonst eher zum “im Büro sitzen” oder “gemütlich auf dem Sofa rumhängen” benutzt wird, muss man ihm zugestehen, dass er im flotten aufrechten Gang schnell schlappmachen kann. Ein Bein vor das andere bringen und das über eine immer längere Strecke kann schon recht anstrengend sein. Die ganze Zeit über muss die Bauch-, Rücken- und Beckenmuskulatur gut zusammenarbeiten und Halt bieten. Deswegen sehen manche Laufstile locker-leicht oder eben auch schwerfällig aus. Logische Konsequenz: Bauch-, Rücken- und Beckenmuskulatur stärken. Auch dazu bietet die große bunte Welt des Internets diverse Übungsanregungen für ein ausgewogenes Core-Training inklusive attraktiven Vorturner/innen ;).
  • Laufen, ohne zu schnaufen. Ein wichtiger Aspekt ist die ausreichende Sauerstoffsättigung während der Belastung. An sich sollte man stetig plaudern können, während man läuft. Falls niemand zum Reden dabei ist, gibt es eine Palette von Pulsmessern oder die gute alte Uhr mit Sekundenzeiger, die uns Aufschluss über unseren Puls gibt (nie mit dem Daumen tasten!).
  • Geeignetes Schuhwerk ist ein weiterer und wichtiger Punkt. Je nach Fußstellung und Abrollverhalten gibt es unterschiedlich gebaute Schuhsohlen für Laufschuhe, die die Supination oder Pronation unterstützen. Dazu ist eine Laufanalyse, die in guten Fachgeschäften angeboten wird, ein aufschlussreiches Element. In der Dynamik der Belastung zeigen sich die Gewohnheiten und Spannungen von Fuß, Bein, Becken und Rumpf. Zusätzlich ist es wichtig, den Zustand des Materials von “im Keller wiedergefundenen Schuhen” zu prüfen. Nicht nur wir bekommen im Alter Falten und eine andere Brüchigkeit ;). Schuhe auch, sogar noch viel früher. Außerdem ist es möglich, dass sie an den viel belasteten Stellen schon so nachgegeben haben, dass sie sich vermutlich “bequem” anfühlen, aber nicht mehr wirklich stabilisierend sind. Der Schuh ist das “Trainingsgerät” für Läufer. Die Investition für gutes Material lohnt sich mehr als für eine schicke Laufhose oder einen hippen SmartPhone-Halter am Oberarm. 
  • Freude entfalten. Im besten Fall bringt Dich die Bewegung in einen guten Flow – nicht nur im Geiste, sondern auch im Körper. Wenn alles stimmig zusammenarbeitet, kann sich, je nach Tagesform, Zeitspanne und Wegstrecke, ein wohliges, fließendes Gefühl einstellen. Es geht im Leben — und auch im Sport — nicht immer um “höher, schneller, weiter”. Das erleben wir in Zeiten von Corona im besten Fall ganz bewusst und deutlich. Also: Einen guten Flow vor einer bestimmten Kilometerzahl anstreben!
  • Nach dem Laufen zu dehnen ist der finale und ein ganz wesentlicher Punkt, der leider oft vergessen wird. Um besser zu verstehen, warum das Spaß machen kann, lies hier: http://blog.tina-knape.de/2019/06/14/dehnen-macht-spass/

Und nun wünsche ich viel Freude und Genuss bei der Bewegung und dem Entdecken Deines Körper während eines flotten und komplexen Bewegungsablaufes. Die Anwendung des eigenen Körpergespürs ist die beste Voraussetzung, um sich mit dem Laufen wirklich etwas Gutes zu tun.

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