Lautes Denken: Wie wird unser Kontakt von morgen?

Kontakt, Umarmen, sich körperlich nah sein — das sind wesentliche soziale und gesunde Begegnungen zwischen Menschen. Egal, ob zwischen Kindern oder Erwachsenen. Durch diese ungewöhnliche Phase der Corona-Pandemie ergibt sich nun ein tiefer Einschnitt in dieses Erleben.

Schon vor der Infektionswelle war körperlicher Kontakt beim Behandeln ein heilsames Mittel für viele Patienten. Es geht dabei nicht nur um die Auswahl der richtigen Technik und des dazugehörigen Erklärungsmodells. http://blog.tina-knape.de/2016/11/15/fachbeitrag-bei-physiotalk-innere-haltung-eines-therapeuten/

Es finden dabei noch andere wesentliche Dinge statt. Bei einem Therapiebesuch widmet sich Ihnen Ihr Gegenüber mit Zeit sowie Aufmerksamkeit. Mittels Anfassen und eines wirklichen in-Verbindung-gehens, entsteht eine Präsenz, durch die Sie sich im eigentlichen Wesen und mit allen Einschränkungen gesehen fühlen. Das ist in unseren manchmal so schnellen Zeiten ein seltenes Gut geworden. Paare liegen mit dem Smartphone nebeneinander auf dem Sofa, Freunde treffen sich in Cafes und befinden sich trotzdem gleichzeitig noch in Parallelchats über den virtuellen Kanal. Im Kopf noch beruflich beschäftigt, sind manch Elternpaare beim Kuscheln mit ihren Kindern mitunter nur bedingt körperlich anwesend.

Und nun hat uns aufgrund der Viruswelle eine Verordnung dazu gebracht, Abstand zu halten, niemanden “Fremden” mehr zu berühren, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr zu umarmen und niemandem zu nahe zu kommen, der nicht zum engeren Familienkreis gehört. Kinder schrecken (je nach Briefing der Eltern) auf dem Spielplatz vor einem anderen Kind zurück, wenn es plötzlich in den gleichen Sandkasten klettert. Manch Ältere wechseln die Straßenseite, wenn es zu schmal scheint, um mit Sicherheitsabstand aneinander vorbeizukommen. “Der Andere” bekommt etwas bedrohliches. Er könnte etwas in sich tragen, das wir nicht haben wollen und womöglich auch weiter verbreiten würden.

Ich habe das Gefühl, es begegnen mir schon jetzt Menschen mit Kontaktstörungen. Wie soll das werden? Wie wird dieser Aspekt wieder gesunden, wenn es möglich ist, sich zu begegnen, wie wir es noch im Winter 2019 konnten? Und ist es ungestützt für alle machbar, in einen gesunden, auch körperlichen Kontakt zurückzukehren? Wie werden sich Kinder wieder miteinander zurechtfinden, wenn sie “unbewachter” und unkomplizierter wieder aufeinander treffen dürfen? Bleibt da etwas (vielleicht unbewusst) nachhaltig hängen, dass körperlicher Kontakt gefährlich ist? Wie werden sich alte einsame Leute im Altersheim fühlen, die wochenlang keinen Besuch bekommen durften, wenn wieder jemand auftaucht, sich aber nicht traut, die Hand zu halten? Wie findet dann Nähe, Austausch und Trost statt?

Schauen wir uns dann wieder länger und tiefer in die Augen? Bewahren wir uns ein offenes Herz, auch wenn es eine Durststrecke an innigen Umarmungen mit unseren Herzensmenschen gibt, die mehr als nur in unserer Familie zu finden sind? Lächeln wir eines Tages auch wieder Unbekannte an, wenn es doch im Moment unter der Maske gefühlt egal ist, wie wir gucken? http://blog.tina-knape.de/2020/04/30/wahrnehmungsschulung-mundschutz-tragen/

Kontakt ist Heilung.

Und so ist das Aufspüren von Kontaktunterbrechung und Wiederherstellen von Kontakt ein wesentlicher Bestandteil der Gestalttherapie. Gerade findet gesellschaftlich und recht flächendeckend statt, dass wir KONTAKT vollkommen neu und reduziert erleben. Es gibt ein paar andere Kanäle: Der Blumenversand boomt, weil wir mittels Blumen diesen Kontakt herstellen können. An sich sollten Postkarten wieder hipp werden, weil Postkarten schreiben persönlicher ist als eine Nachricht übers Handy zu versenden. Doch gleichzeitig dursten unsere Zellen auch nach Kontakt, der mit Anfassen, sich nah sein, sich austauschen — verbal und nonverbal — einhergeht. Wieviel können wir in uns selbst auffüllen und wann braucht es Austausch und Reflexion, die nicht allein aus uns selbst heraus entstehen?

Wir Menschen sind wie viele Lebenwesen soziale Wesen. Dabei spielt das Alter keine Rolle. Je jünger wir sind, umso nötiger ist Kontakt und Bindung. Doch das verschwindet nie. Wir brauchen ein Gegenüber– und auch ein Anfassen, zum Halten, manchmal zum Stoppen, manchmal zum Anschieben, auf alle Fälle zum Trösten und zum Liebe weitergeben. Mögen wir den Faden der Verbundenheit nie aufgeben, auch wenn es gerade vollkommen veränderte Rahmenbedingungen sind.

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