Grenzen testen beim Selbstverteidigungskurs- ein Erfahrungsbericht

Meine Güte.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht so viel: Einen Selbstverteidigungskurs sollte jeder bzw. jede Frau mal gemacht haben!
Es ist ein echtes Erlebnis, sich selbst in der Rolle zu erleben, sich körperlich zu schützen, zu wehren, laut zu sein, ein Stop zu signalisieren- mit allem, was einem zur Verfügung steht.

Wer mich kennt, weiß, dass „Sorgen machen“ und ängstlich sein nicht die ersten Dinge sind, die ich ausstrahle oder lebe. Das war auch nicht die Motivation, diesen Kurs zu belegen. Schon länger war es in meinem Hinterkopf, um mich “gewappneter” zu fühlen, falls man mal im Leben zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Abermals angestoßen durch die Geschichte einer Patientin, die noch immer Symptome nach einem Würgeübergriff trägt, habe ich konsequenter recherchiert, wo man sowas besuchen kann. Ich bin sehr froh, so einen überlegt aufgebauten, intensiven und mitfühlenden Kurs mit drei Trainern (zwei Männer, eine Frau) gefunden zu haben.

Mein Resumee nach vier durchlebten Kursteilen: So einen Kurs zu besuchen, ist eine grundsätzliche Empfehlung! Für jedermann/-frau! Es ist nicht ein Tipp, weil ich das Gefühl habe, dass wir (Frauen?!) uns in einer stetigen Gefahr befinden. Nein.
Es ist ein Erlebnis der eigenen Grenzen: wo ich sie habe, wie ich sie wahre und was in mir anspringt (oder eben nicht), wenn jemand diese Grenze überschreitet… verbal, körperlich, überraschend, böswillig, gezielt, rücksichtslos.
Was ist mein Automatismus, wenn (mit Ansage! Am 2. Trainingstreffen!) ein Trainer mit Vollschutz mich zu Übungszwecken bedroht bzw. bedrängt und ich meine dazugelernten Skills eigentlich zur Anwendung bringen sollte? Wo ist meine Stimme? Wie wehre ich mich? Und wie vielleicht auch nicht?
Hammer! Sowas in einem geschützten und bewussten Rahmen zu fühlen und zu testen, ist ein nachhaltiges Erlebnis.

Ich finde, so einen Selbstverteidungskurs zu belegen, hat eine ähnliche Bewusstseinsschaffung wie ein 1. Hilfe Kurs. Es ist gut, zu wissen: Was machen ich denn, wenn XY passiert? Wie reagiere ich vermutlich? Und was wäre gut in dem Moment – selbst mitten in einem überraschten Schockmoment- noch an Fähigkeiten abrufen zu können? Wie verhalte ICH mich wohl in so einem bedrohlichen Fall? Vielleicht habe ich sogar ein bisschen mehr in meinem Repertoire, was ich tun kann. Wo ziehe ich meine Grenze? Wie viel Ausdauer und Kraft habe ich eigentlich? Was ist auf alle Fälle gut zu versuchen, um mich zu schützen, zu befreien, mich zu erwehren?

Es ist auch eine Art Prophylaxe. Ich gehe auch nicht davon aus, dass ich ständig als Ersthelfer zu einem Unfall komme und im schlimmsten Fall bis zum Eintreffen eines Notarztes reanimieren muss… aber es ist gut zu wissen: Was wäre denn, wenn?!

In eine Lähmung und Ohnmacht zu fallen, wäre für diese Situation wohl das gefährlichste.
So ist es gut, mit Wissen, Aufklärung und Bewusstsein auf Gehörtes, Erlebtes, Erfahrenes zurückzugreifen, um dann „einsatzbereit“ zu sein.
So ist es auch mit der Verteidigung meiner selbst.
Es begegnet uns im besten Fall nicht ständig, vielleicht nie- aber falls doch, dann ist es gut, dass ich mich schon ein bisschen besser kenne. Wie reagiere ich denn? Es ist gut, zu üben, wach genug zu sein, dass bestenfalls in mir eine Art reflektorische Re- und Aktion hervorkommt und ich mich wehre. Und schreie. Und trete. Und schlage. Und wegrenne.

In einem Kurs wie diesem ist der Raum, seinen eigenen Zurückhaltungen und Ängsten zu begegnen. Es ist eine übende Erfahrungswelt, in der man seine Grenzen testen und spüren kann. Es setzt Energien frei, denen wir in unserer bürgerlichen Alltagsblase kaum (oder nie) ausgesetzt sind. An Beispielen vermitteln die Trainer leicht nachvollziehbare Situationen, die einem näher erscheinen, als dass es einem fremd und erfunden vorkommt. Sie bieten einen Rahmen, klären auf, machen deutlich, zeigen Handlungsspielraum (“Eine festhaltende Hand kann zumindest nicht schlagen.”), lernen Techniken, begleiten ausgelöste Prozesse.

Da es Körperlichkeit und Wissensvermittlung beinhaltet, erreicht es gefühlt jede Frau im Kurs bei einem anderen Aspekt an ihrem verletzlichsten Punkt. Der einen fällt es schwer, die Stimme zu nutzen. Die andere traut sich kaum, den Körper des Gegenübers adäquat abzuwehren und anzufassen. Wieder eine andere Frau bewegt sehr die Aufklärung über Notwehr und Waffengesetze. Der Kurs lässt einen fühlen- emotional wie körperlich, bringt einen in Kontakt mit dem eigene-Grenzen-ziehen. Es macht eng- und weit. Fühlt sich bedrohlich an- und befreiend. Erreicht mittendrin. Schult Bewusstsein. Verbessert das Körpergefühl. Schafft emotionale Zugänge zu auch Geblocktem.

Es ist eine absolute Empfehlung, sich dieser Erfahrung mal ausgesetzt zu haben. Eindrucksvoll, nachhaltig, intensiv.

Danke für die tollen, bewussten, geübten und mitfühlenden Trainer des Polizeivereins in Frankfurt. Ein großartiges Erlebnis im geschützten Raum, um sich mutiger, gestärkter und wacher für Eventualitäten der dunklen Welt zu fühlen.

Ein Kommentar zu “Grenzen testen beim Selbstverteidigungskurs- ein Erfahrungsbericht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert